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Kultur: Optische Täuschung Jerobeam im Foyer des Nikolaisaals

Das Bild auf dem Plakat zeigte einen jungen Mann mit Kurzhaarschnitt, Hornbrille, gebügeltem Hemd, dunklem Jackett und abgewandtem Blick. Vielleicht einer dieser Jungschriftsteller, die auf 150 Seiten die Welt erklären wollen, war der erste Gedanke.

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Das Bild auf dem Plakat zeigte einen jungen Mann mit Kurzhaarschnitt, Hornbrille, gebügeltem Hemd, dunklem Jackett und abgewandtem Blick. Vielleicht einer dieser Jungschriftsteller, die auf 150 Seiten die Welt erklären wollen, war der erste Gedanke. Doch es ging um Musik. „Pop-Hymnen in Lumpen gehüllt und mit der Nonchalance von Schlaghosen“, hieß es im Ankündigungstext. Wer denkt sich bloß solche Sätze für eine Band namens Jerobeam aus, war der nächste Gedanke. Fertig ist die Erwartungshaltung: Wahrscheinlich belangloser Pop mit aufgeblasenen, extrem kopflastigen Texten, so der dritte Gedanke. Oh, wie man sich doch täuschen lassen kann.

Als Lennart Alexander Salomon, Sänger und Gitarrist von Jerobeam, am Donnerstagabend ins Foyer des Nikolaissaals trat, gab es die erste Irritation. Man musste schon zweimal hinschauen, um ihn ihm den jungen Mann vom Plakat zu erkennen. Halblange Haare, Jeans, ungebügeltes Hemd. Gut, die auffällige Brille trägt er noch immer. Dann hängte sich Salomon die Gitarre um und spielte, fast beiläufig, die ersten Akkorde. Benny Greb am Schlagzeug nahm den Rhythmus auf, Thomas Merkel folgte am Bass und die Verwirrung war perfekt.

Es war eine dieser Balladen, die sich direkt in die Eingeweide bohren, mit der Jerobeam begannen. Eine simple Melodie, angewärmt durch die Röhren in Salomons Vox-Verstärker, dazu seine leicht nölige Stimme. Greb tänzelte über das Schlagzeug und Merkels Bassspiel glitt in das Ganze, als wäre nichts leichter als das. Alles passte, klang selbstverständlich und für einen kurzen Moment fragte man sich, warum das so einfach immer wieder geschehen kann. Doch dann den Kopf ausgeschaltet und sich hingegeben, überwältigen lassen. Diese Abende sind zu selten, als dass man sie zergrübeln sollte.

Wer will, kann „Pop-Hymnen“ nennen, was Jerobeam machen. Wer aber am Donnerstag genau hinhörte, merkte schnell, dass Jerobeam mehr im Rock zu Hause sind. Dazu Anleihen aus dem HipHop, so dass man an den grandiosen G. Love und seine Special Sauce denken musste, der so dreist und wunderbar wie bisher kein anderer Blues, Soul, Rock und HipHop zusammenmixt. Und da sind wir schon bei der einzig offenen Frage dieses Abends. Wie kamen Jerobaem ausgerechnet in den Nikolaisaal? Ein Umstand, der auch die Musiker irritierte.

Gewohnt in kleinen Clubs zu spielen, die ihre Schäbigkeit als Herausstellungsmerkmal pflegen, gaben sich Salomon, Greb und Merkel erfreut, endlich mal einen Backstagebereich vorzufinden, der sauber war und in dem die Toilette einen Deckel hat. „Wir sind jetzt angekommen bei den Kulturschaffenden“, sagte Greb und nahm mit Humor, dass gerade einmal knapp 20 Gäste gekommen waren, die auf Stühlen saßen und sich ein Rockkonzert anschauten. Egal, Band und Publikum machten das Beste daraus. Nach gut einer Stunde hochdosierter Lautstärke klingelte es zwar in den Ohren. Aber Rockkonzert bleibt Rockkonzert, auch wenn es im Foyer des Nikolaisaals stattfindet.

Bevor Jerobeam die Bühne verließen, bat Schlagzeuger Greb das „professionelle Publikum“, doch den jungen Menschen die frohe Botschaft zu verkünden, dass die Band, auch als „Kulturschaffende“ ein verdammt gutes Konzert abgeliefert hätten. Das haben wir hiermit getan. Dirk Becker

Dirk Becker

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