
© Manfred Thomas
Von Peter Buske: Ordnung ist langweilig
Kammerakademie mit Sinfoniekonzerten für Kinder und Erwachsene im Nikolaisaal
Stand:
Das übliche Gewusel im Foyer, wenn der Nikolaisaal zum kleinen Sinfoniekonzert für Kinder einlädt, bei dem es stets heißt: „Klappe zu – Ohren auf!“ Manche spielen Verstecken. „Hier bin ich!“, tönt es von irgendwoher. Doch die Frage, wo er sich denn versteckt habe, bleibt ungestellt und damit auch unbeantwortet. Fast genauso wie bei Charles Ives’ „The Unanswered Question“, die diesmal der kindgerechten und spannenden Erläuterungen durch Moderator Stephan Holzapfel harrt. Mit einem Bild des amerikanischen Tonsetzers unter dem Arm tritt er auf: „Wer ist das?“ – „Ein Komponist.“ Schnell ist der Moderator bei seinem Gegenstand, der „Unbeantworteten Frage“. Der Trompeter stellt sie blasend. „Wie könnte die Frage in Menschensprache lauten?“ Aus Kindermund tönt’s spontan: „Wie heißt das Ding?“, „Was ist hier los?“, „Warum haben Pferde lange Haare?“ Holzapfel zeigt sich sichtlich überrascht, bleibt jedoch gelassen. Nachdem das sich stets wiederholende „Fragemotiv“ geklärt ist, kommen Rolle und Bedeutung der vier holzblasenden Antworter zur klingenden Aufklärung.
Die Ausgangslage ist nunmehr klar. Das Vorspielen des Originals durch die Kammerakademie Potsdam unter Leitung von Antonello Manacorda kann beginnen. Leise fragt die Trompete vom Rang herab, eingebettet in das kaum vernehmbare Gewirk aus „himmlischen Melodien“, die die Streicher in der Seitengasse produzieren. Alles sehr geheimnisvoll. Der Frage folgt die Podiumsantwort der Bläser: forsch, aufgeregt, schrill, unwirsch. Schließlich bleiben sie stumm. „Warum wohl“, fragt Holzapfel. „Es fiel ihnen keine Antwort mehr ein“, erklärt schlagfertiger Kindermund. Nach reichlichen 20 Minuten hätte alles vorbei sein können. Ist es aber nicht, denn nun gibt es weitere Versionen der „Unbeantworteten Frage“ zu erleben, die von der Klasse 8 EM (Englisch-Musik) des Helmholtz-Gymnasiums in den vergangenen Wochen erarbeitet worden waren.
Nach der Instrumentalsprache kommt nun die Umsetzung in Menschensprache zu Gehör. Eine Schülerin stellt quasi trompetengleich die Frage „Habe ich Freunde“, worauf vier weitere Gymnasiastinnen mit sich überlagernden Antworten den Bläserpart übernehmen. Und die himmlischen Streichermelodien? Übernimmt das zum Mitsummen animierte Publikum. Das wiederum wird danach befragt, ob es die Ives-Musik mag oder nicht. Einigen gefällt sie, anderen nicht – „weil sie so durcheinander geht“. Was manchem wiederum gefällt, denn das sei „wie in meinem Kinderzimmer – Ordnung ist langweilig!“ Nicht so die außerordentlich gut gemachte Film-Version, wo ein Mädchen mit Lupe die „Frage“ personifiziert. Dann stürzen die Filmkinder durch den Zuschauerraum nach vorn, um die Filmfiktion mit der Realität auf den Punkt zu bringen. Hervorragend.
Am überraschendsten allerdings die nach einigen Anlaufschwierigkeiten doch noch funktionierende „Wii-Version“, wo zunächst Instrumentalklänge und Geräusche aufgenommen und computergesteuert gesampelt worden sind. Angelehnt an die Struktur des Originals entstand eine Partitur, die nun von den Schülern mit sechs Spielecontrollern gesteuert und live gespielt wird. Hauptsache, man trifft immer den richtigen Knopf. Ein Schüler-Dirigent mit Taktstock gibt die Einsätze. Verblüffend. Die unvoreingenommenen Kinder sind begeistert: vom Stück, von den verschiedenen Versionen, der unnachahmlichen Art des Moderators. Noch irgendwelche Fragen?
Ja, wie würde das originelle Stück, nun als abendliches Entree zum 7. Sinfoniekonzert der Kammerakademie gespielt, bei den Großen ankommen? Von den Raumklangwirkungen ließen sie sich bereitwillig umgarnen. Auch vom nachfolgenden fis-Moll-Streichquartett op. 10 von Arnold Schönberg in der vom Komponisten verfertigten Fassung für Streichorchester? Wohl die wenigsten trauen dem zwölftönenden „Publikumsschreck“ zu, einst die süffigen Romantikklängen geliebt zu haben. Das Opus 10 gehört dazu. Voluminös und intensiv, voller Leidenschaft und Gefühl wird es musiziert. In zwei Sätzen begeistert die Sopranistin Christiane Oelze mit aller gebotenen stimmlichen Akkuratesse und Entrückung. Auch in Schumanns klangvoll und ausgewogen dargebotener 2. Sinfonie C-Dur zeigen Dirigent und Musiker keine Scheu vor vollmundigem Klang, temperamentvollen Ausbrüchen, liebevoll ausgesungener Kantabilität. Geschliffene Artikulation, die Beachtung von Tempovorschriften, Glanz und Rundung: das Orchester ist kaum wieder zu erkennen. Der Beifall gerät enthusiastisch.
Peter Buske
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