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Von Frederik Hanssen: Orient und Okzident

Musikalische Begegnung im Nikolaisaal

Von Frederik Hanssen

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„Der Charakter dieser Musik ist kriegerisch, da er auch feigen Seelen den Busen hebt“, schreibt Publizist Christian Daniel Schubart über die türkische Musik. „Wer aber das Glück gehabt hat, die Janitscharen selbst musizieren zu hören, der muss mitleidig über die Nachäffungen lächeln, womit man unter uns meist die türkische Musik verunstaltet.“ Solche Klänge kamen in Mode, als die osmanischen Wien-Belagerer anno 1683 in der Schlacht am Kahlen Berge vertrieben worden waren. Kaffeetrinken und halbmondförmiges Hörnchen (Croissant) sind Ergebnisse der danach einsetzenden Türkenmode. Auch in der Musik macht die schmissige Janitscharenmusik Furore. Mozarts Ouvertüre zur „Entführung aus dem Serail“ ist dafür bestes Beispiel.

Mit ihr eröffnete das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt unter anspornender Leitung seines charmant moderierenden Chefdirigenten Howard Griffiths sein „Klassik am Sonntag“-Konzert im Nikolaisaal. Es stand unter dem Motto „Alla turca“ und führte zu erkenntnisreichen Klangbegegnungen zwischen Orient und Okzident. Um das richtige Flair zu treffen, verlangt nicht nur Mozart nach Triangel, Tambourin, Becken und großer Trommel, die mit einer Rute geschlagen wird. Solch exotisches Kolorit aus rabiatem Marschgeklingel und nobler Streicherkultur wussten die Frankfurter vorzüglich zu erzeugen. Dem Einstimmungsstück war dabei jegliche Gemütlichkeit ausgetrieben, dafür dramatische Schärfe geschenkt.

So zärtlich und gefühlvoll kann Militärmusik klingen? Die Adagio-Einleitung zu Haydns „Militärsinfonie“ Nr. 100 (G-Dur) suggeriert es. Doch spätestens im Allegretto-Satz prallen morgenländische Rohgewalt, die sich mit einem Signal auf der Naturtrompete ankündigt, mit abendländischer Idylle aufeinander – ein Nachklang der von Österreich gewonnenen Schlacht an historischem Ort. Trotz allen grimmigen Gebarens spielte man lockeren Tons einen ausdrucksgewichtigen Haydn, der nicht des Witzes und der Leichtigkeit entbehrte. Vom Orientalischen ließen sich aber auch barocke Notenfedern anregen: Jean-Baptiste Lully zu seinem grotesken „Marsch für die türkische Zeremonie“ und der k.u.k. Hofkomponist Johann Joseph Fux zur „Turcaria“, aus der zwei Sätze mit all ihren tonmalerischen Finessen erklangen.

Zuvor hatten Burhan Öçal und sein Istanbul Oriental Ensemble sich in der ersten Orchesterreihe platziert. Der Meister entfachte auf einer Trommel in Vasenform (Darbuka) ein staunenswertes Feuerwerk der Fingerfertigkeiten. Unterstützung erfuhr er dabei durch eine 77-saitige Zither (Kanun), durch türkische Geige und Klarinette. Sie erzeugten eintönig klingende, gleichwohl sehr kunstvolle Klänge, die sich zu gleitenden, aus Vierteltönen bestehenden und gefühlsbefördernden Melodiegebilden fügen. Bei allen Turkvölkern sind sie (Makom, Maqam oder Mugam genannt) anzutreffen. Nahtlos vollzog sich der tonartgleitende Übergang, türkisch: Taksim, vom Fux zum zarten Melodiegespinst „Suzi Dilara Pesrev“ des musenliebenden Muselmanen Sultan Selim III., einem Haydn- und Mozartzeitgenossen. In Öçals Stücken „Cariye“ und dem temperamentvollen „Dance of Rhythm“ gingen zwei Kulturkreise eine prächtige Klangsynthese ein. Man spielte mit innerem Swing, und plötzlich avancierten die Streicher zur türkischen Popband. Unglaublich. Peter Buske

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