Kultur: Originelle Momentaufnahmen
Zeitgenössisches mit der Kammerakademie im Nikolaisaalfoyer
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Musik ist ein sonderbar Ding, denn sie ist flüchtig: kaum erklungen, schon vorbei. Sie in all ihren Konstanten festzuhalten geht nur in Noten und das auch nur unvollständig. Könnte da nicht die bildende Kunst mit ihren malerischen oder grafischen Möglichkeiten aushelfen, indem sie jene einmaligen Momente einfängt und aufs Papier bannt? „Catch the moment!“ sagte sich auch die Kammerakademie Potsdam mit ihrem gleichnamigen Programm, das sie in der Reihe „KAPmodern“ im zunächst gut, später nur noch überschaubar besetzten Foyer des Nikolaisaal vorstellte. Werden die Werke im richtigen Moment das passende Musikmaterial parat haben? Wird man dann mit Goethe zum Augenblicke sagen können: Verweile doch, du bist so schön?
Doch nur das sei schön, was nicht vorhanden ist, meint Jean-Jacques Rousseau in einer novellistischen Textpassage, die den Komponisten und Neutöner Alex Nowitz zu seinen „Chimères“ anregte, einem erfolgreich uraufgeführten Auftragswerk der Kammerakademie. Mit nachhallenden Klängen eines Gongs beginnt die Reise ins Reich der Hirngespinste, Trugbilder und Einbildungen. Klarinettist Matthias Simm bläst eine traumverlorene, in schrille Höhen führende Linie. Geigerin Christiane Platz liefert Saitenkratziges hinzu, Kontrabassistin Anne Hofmann diverse Glissandi, Percussionist Friedemann Werzlau die mannigfaltigsten Geräusche von knarrenden Türen bis zu Windsäuseln. Pianist Jan Gerdes greift dem Flügel unaufhörlich ins Saitengedärm, um ihm gläserne Akkorde zu entlocken. Eine Spieltechnik, die schon vor dreißig Jahren gang und gäbe war und nunmehr reichlich antiquiert wirkt. Die schemenhaften Klänge werden durch stimmartistische Aktionen von Nowitz angereichert. Zunächst falsettiert er den Rousseau-Text, dann zerhackstückt er ihn durch kehlkopfphonetische Akrobatik, um ihn per buddhistischen Mönchsgesang wieder zusammenzusetzen.
In seinem 2009 erschaffenen „Minotaurus“-Opus über den mythologischen Stiermenschen beeindruckt der Komponist ebenfalls als exzellenter Stimmperformer, der das Fabelwesen durch meist unverständliche Lautentäußerungen eine Art Sprache verleiht. Mit von der Partie viel Verstärkertechnik, digital fixierte Klänge und Geräusche. Mit Hilfe von Wii-Controllern verwandeln sich seine Gesten in Klänge: mal lauter, mal leiser, dann wieder durch den Raum wandernd. Klangfarben ändern sich auf magische Weise. Sein Vogelzwitscherduett mit dem Tape ist eine Klasse für sich! Nicht so die Wiedergabe der grafisch notierten „Projection 4“ für Violine und Klavier von Morton Feldman, die in ihren von den Musikern selbst bestimmten Tönen viel Raum für Kreativität bietet. Doch die versagen sich leider solchem Angebot. Gleichsam als Steinbrucharbeiter, der Ton für Ton zusammensammelt, betätigt sich Jan Gerdes in vier „Moments musicaux“ von Franz Schubert. Hart im hämmernden Anschlag, unsensibel und erschreckend unmusikalisch mutiert die Poesie zur prosaischen Antiromantik.
Mit einer speziellen Art von Klangmalerei, Soundpainting genannt, endet der flüchtige Momente einsammelnde Abend auf höchst originelle Weise. Klänge wie aus dem Zufallsgenerator scheint Sabine Vogel als Übermittlerin von vorher verabredeten Zeichen von den Spielern abzurufen. Die reagieren spontan auf ihre Kreisel-, Fingerspreiz-, drehhändigen oder armvorschnellenden Gesten mit geräuschhaften Eigenerfindungen. So entsteht tatsächlich eine unwiederholbare Echtzeitkomposition mit offenem Ende. Ein echtes Happening eben, mit der Verweildauer eines Augenblicks. Peter Buske
Peter Buske
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