Kultur: Orthodox nur beim Cappuccino
Klezmer-Jazz von Paul Brody“s Sadawi im al globe
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Paul Brody spielt Klezmer: Nicht die Geige und nicht die Klarinette geben den Ton an, sondern seine Trompete, die eigentlich kein traditionelles Instrument des Klezmers ist. Paul Brody spielte am Donnerstagabend mit seiner Band Sadawi im gut besuchten al globe. Den Klezmer hätte er erst spielen können, als er mit seinen jüdischen Wurzeln im Reinen war, so der Trompeter in einem Gespräch. „Die Kultur, aus der diese Musik stammt, trägt zuviel Gepäck mit sich – auch in der Familiengeschichte – um zu sagen, sie wäre eine Nebensache.“ Aber mit Religiosität hat seine Musik nichts zu tun. „Wir sind orthodox. Doch nur im Cappuccino-Trinken“, witzelt Brody.
Und ganz im Gegensatz zu den alten Traditionen hat er alle seine vertrackten Kompositionen säuberlich auf Notenpapier gebracht. Brody nutzt den Klezmer und seine jüdischen Wurzeln mehr als vertrauten Ausgangspunkt, nicht zur Rückbesinnung, wie vielleicht der sanfte Klezmer von Giora Feidman, den Brody liebevoll anerkennend „Klezmer-Opi“ nennt.
Sadawi eröffnen ein Spiel der Verwandlungen. Der Titel „Gut bye for Jetzt“ klingt nach Pop, aber seine Form stammt von einem alten Klezmerlied. Trompete statt Geige, Banjo statt Tsimbl oder „Hackbrett“. Aber ohne Klarinette kommt auch dieser Klezmer nicht aus. Christian Dawid kapriziert die schnellen Achtel- und Sechzehntelläufe hinauf und hinab, denen durch Brodys Trompete ein von Hall erfülltes Bett bereitet wird. So öffnet sich der Klezmer zu einem „breiteren Blick auf die jüdische Kultur“, wie Brody es beschreibt. „Hescheln“, so einer der im al globe gespielten, ganz neuen Titel auf der CD „Kabballah Dreams“, bezieht sich auf den jüdischen Philosophen Abraham Heschel.
Drum“n Base, wie im Titel „too low“, und Rockrhythmen werden eingebunden und fordern die Rhythmusgruppe. Bassist Martin Lillich wechselt zwischen Kontra- und E-Bass. Einige Male greift er zum Bogen, und die vielen Jazzfreunde im al globe werden von der langsamen, melodramatischen Seite des Klezmers angerührt. Da klopft es nur kurz an die Grenzen des Kitsches.
Eric Rosenthal am Schlagzeug und Brandon Seabrook an Banjo und Gitarre reisen bald schon wieder mit zügelloser Spielfreude von diesen Ursprüngen zu der Musik des heutigen Amerika. Auf die Kombination von Surfer-Rock mit Klezmer hat Brody, den es von San Francisco nach Berlin verschlagen hat, sicher das Urheberrecht. Rosenthal und Seabrook sind für diesen schnellen, durchaus tanzbaren Jazz wie ein vitaminstrotzender Fitnesscocktail für den Sprinter. Ihr Einsatz erinnert an den Zustand des Wahnsinns. „Ich weiß, wie die Musiker spielen, und ich schreibe meine Stücke so, dass sie glücklich sind“, sagt Brody. Die Band klingt sehr glücklich. Rosenthal variiert Rhythmen ohne Unterlass. Irgendwann hat er sogar eine Traube von hell klingenden Glöckchen im Mund. Der Kopf schüttelt sich zimbelhell und niemand wundert sich. Und Seabrock streicht sein Banjo mit einem Bogen. Das klingt wie indisches Sitar.
Die Zugabe wird zu einer feixenden Parodie auf den „Klezmer-Opi“. Brody sieht mit seinem lichten Haar nicht nur aus wie Schauspieler Bill Murray, er beweist auch humoristisches Talent. Nur auf dem Mundstück seiner Trompete spielend, ahmt er die keckernden Klarinettenläufe nach, für die Feidman bekannt ist. Minderwertigkeitskomplexe, wie Brody scherzhaft bekennt, braucht Sadawi jedenfalls mit Sicherheit gegenüber niemandem zu haben.
Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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