Kultur: Packende Totenklage
Verdis Messa da Requiem mit der Singakademie im Nikolaisaal
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Verdis Messa da Requiem mit der Singakademie im Nikolaisaal Von Peter Buske Einem Bonmot zufolge solle Giuseppe Verdi mit seiner Messa da Requiem seine beste Oper geschrieben haben. Trotz aller Unterschiedlichkeit der Genres ist durchaus was dran an dieser Behauptung. Wo sonst als im Requiem gibt es solche aufgepeitschten Chöre, wo solche infernalische Klangmalerei, wo solches Bangen und Zagen wie in der ausladenden Szene des „Dies irae“?! Geschrieben hat er die Totenklage auf den Verlust des von ihm verehrten Dichters Alessandro Manzoni. Die Gedanken des Vergänglichen und Transzendentalen hat er in lyrische Solokantilenen, feurige Duette und Solistenensembles, tröstende und bittende Chöre niedergelegt, untermalt von der ganzen Pracht und Farbenglut eines romantischen Opernorchesters. Je besser eine Wiedergabe diesen Anforderungen zu entsprechen vermag, desto überzeugender wird sie das Anliegen Verdis zum Ausdruck bringen können. Groß ist das Aufgebot, das Dirigent Edgar Hykel für die Aufführung am Sonnabend auf das Podium des Nikolaisaals stellt. Der Sinfonische Chor der Singakademie Potsdam verstärkt sich durch den Hannoverschen Oratorienchor zu einer Sängerschar, die zu Zweidritteln von Frauenstimmen bestimmt wird. Ob darunter die stimmliche Balance wird leiden müssen? Die Brandenburger Symphoniker treten in voller Besetzung an. Sie musizieren packend und anpassungsfähig, saft- und kraftvoll, innig und leidenschaftsbewegt. Zu ihnen gesellt sich ein hochkarätiges Solistenquartett von durchweg dramatischen und zueinander passenden Opernstimmen, die ihren Verdi prachtvoll mit Brio und Innerlichkeit zu singen verstehen. Zusammengehalten und angespornt von einem Maestro del coro, der die theatralischen Ausbrüche genauso liebt wie das Leise, das er mit nicht weniger Intensität gestaltet. Sentimentalitäten lässt er dabei keinen Raum. An die penible, mitunter stark pantomimisch geprägte Zeichengebung von Edgar Hykel muss man sich erst gewöhnen. Aber vielleicht ist sie nötig, um die Klangmassen zu entfesseln und in Bewegung zu halten?! Sehr verhalten und gefühlvoll hebt das chorgeflüsterte „Requiem aeternam“ an, abgelöst vom kraftvollen, fast holzschnittartig wirkenden „Te decet hymnus“. In diesen Extrembereichen fühlt sich der vereinte, nicht immer auch homogen singende Chor hörbar wohl, wobei den Damen der lobpreisende Vortritt gebührt. Kraftvoll, wie Peitschenschläge des Jüngsten Gerichts, trumpft er im „Dies irae“ auf. Mitunter scheint es, als wolle er mit seiner Lautstärke die Mauern von Jericho zum Einsturz bringen. Im „Sanctus“ klingt der vereinigte Gesangverein auf Grund des Massenträgheitsgesetzes ein wenig schwerfällig, ungenau in den „Osanna“-Punktierungen, nicht leichtstimmig genug. Im „Libera me“ betört er mit psalmodierendem Tonfall. Den dirigentischen Intentionen folgen die Solisten fast blindlings. Mühelos schwebt der Sopran von Denise Pelletier in der Höhe, erblüht beim „Salva me“ wie eine Knospe. Sie begeistert mit einer makellosen Pianissimotechnik. Nicht aufdringlich, aber dennoch bewegend gestaltet sie die Ängste („Tremens factus sum ego“) aus dem „Libera me“-Solo. Innig duettiert sie mit dem ausdrucksvollen, sehr kultivierten und geschmeidigen Mezzosopran (Gabriela Popescu) im „Recordare“ und „Agnus Dei“. Über einen höhensicheren und staunenswert strahlkräftigen Tenor verfügt Kim Ji-Woon, der seine „Ingemisco“-Arie mit Schmelz und metallischem Aplomb singt, als ob Troubadour Manrico persönlich zugegen wäre. Anfänglich ein wenig zu opernpathetisch, unausgeglichen in den Lagen, mit merkwürdigen Vokalverfärbungen (im „Lacrymosa“), gewinnt sich Bassist George-Emil Cräsnaru alsbald jene gestalterische Souveränität und stimmliche Überzeugungskraft, die seinen Part hörenswert machen. Nachdem die Bitte „Et lux perpetua luceat eis“ (Und ewiges Licht leuchte ihnen) im ergreifenden Gesang verklungen ist, folgt der ausdrucksstarken Wiedergabe ein langes ergriffenes Schweigen. Es löst sich in einem Beifall, der in Ovationen mündet.
Peter Buske
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