zum Hauptinhalt

Kultur: Pakt mit dem Zuschauer

Das Figurentheater Wilde & Vogel, Stammgast im T-Werk, zeigt „Der Hobbit“ - Gespräch mit Charlotte Wilde und Michael Vogel über farblose Puppen, innere Zerrissenheit und die Rolle der Musik

Stand:

Herr Vogel, schlafen Sie eigentlich gut?

Michael Vogel: Ja. Sehr gut.

Wer aber die von Ihnen entworfenen und hergestellten Figuren kennt, wird an Albträume denken, die Sie vielleicht plagen, sich an Hieronymus Boschs bekanntes Triptychon „Das jüngste Gericht“ erinnern. Diese Figuren haben, korrigieren Sie mich ruhig, wenn ich falsch liege, selten etwas Freundliches.

Vogel: Für mich sind die freundlich. Wenn ich diese Figuren entwerfe, steckt keine Absicht dahinter, zwingend etwas Gruseliges und Albtraumhaftes zu bauen. Die Figuren spiegeln Themen wider, mit denen ich umgehe. Dabei lasse ich mich auch von den alten Meistern Hieronymus Bosch und Co inspirieren.

Für den Zuschauer ist das wohl eher eine seltsame Freundlichkeit, die diese knochenbleichen und gelegentlich an Teufelsmasken erinnernden Figuren ausstrahlen.

Vogel: Im Puppenspiel gibt es eine große Affinität zum Süßen, Niedlichen. Da gibt es noch die Erwartungshaltung, dass jetzt der Kasper kommen müsse und alles schön bunt ist. Ich bin damit aufgewachsen und war davon auch begeistert. Aber dieses Klischee bediene ich überhaupt nicht.

Was spricht gegen Farbigkeit?

Vogel: Ich habe bei meinen Figuren schon immer nach Klarheit und Reduktion gesucht. Am Anfang ist da das Weiß und dann schaue ich, welche Farbe noch wichtig wäre. Oder kann man diese Farbigkeit, eine Lebendigkeit, durch das Spiel, die Musik oder andere Dinge im Zuschauer anregen? Zu viel Farbe betoniert den Zuschauer regelrecht zu. Der kann sich dann zwar wunderbar unterhalten lassen, doch der Dialog wird dadurch schwieriger.

Der Zuschauer soll im Figurentheater Wilde und Vogel also nicht einfach unterhalten, sondern vor allem gefordert werden?

Vogel: Ja, ihn mitnehmen, denn im Figurentheater spielt der Zuschauer eine sehr große Rolle, weil er die Figur annehmen muss. Wenn er das nicht tut, bin ich als Spieler hoffnungslos verloren. Da müssen wir einen Pakt eingehen und die Figuren zusammen beleben.

Hamlet, König Lear, der nervenkranke Komponist Robert Schumann, ein Großteil Ihrer Stücke beschäftigt sich mit Charakteren in Ausnahmesituationen. Ihr Spiel konzentriert sich dabei vor allem auf die Innenansicht, die inneren Konflikte, die es durchzustehen gilt. Warum fasziniert Sie gerade das?

Vogel: Das ist eine Spezialität, die mit Figuren sehr gut darzustellen ist. Durch die Möglichkeiten der Vervielfältigungen, die ich als Spieler mit den Figuren auf der Bühne habe, ist der innere Dialog offengelegt. Aber es steckt kein Masterplan hinter der Stückauswahl der vergangenen zehn Jahre.

Das Figurentheater Wilde und Vogel gibt es nun seit elf Jahren. Warum ein Theater mit Puppen?

Vogel: Diese elf Jahre sind trügerisch, denn eigentlich habe ich das schon immer gemacht. Schon im Kindergarten habe ich damit angefangen und zum Entsetzen meiner Eltern nie damit aufgehört. Das Prager Marionettentheater Spejbl und Hurvinek hat mich da sehr beeinflusst. Es gab auch eine Zeit, da habe ich daran gedacht, Schauspiel zu studieren und dann an ein Theater zu gehen. Aber dazu ist es nie gekommen.

Ist Ihre Entscheidung vielleicht deswegen für die Puppen gefallen, weil Sie mit diesen mehr Möglichkeiten, mehr Freiheiten haben, sie Ihnen nicht widersprechen können, wie beispielsweise Schauspieler?

Vogel: Nein, deswegen nicht. Es bedeutet viel mehr Arbeit und viel mehr Zeit, etwas mit Puppen umzusetzen als mit Menschen. Und wir verzichten ja nicht gänzlich auf Schauspieler. Bei „König Lear“ arbeiten wir mit einem zusammen, bei „Maria auf dem Seil“ mit einer Schauspielerin. Da sind wir ständig auf der Suche nach Erweiterungsmöglichkeiten. Die Schwierigkeit besteht aber darin, dass das Gezeigte dann nicht auf ein reines Schauspiel reduziert wird, mit ein paar Puppen drum herum. Das Verhältnis Puppe und Mensch wird mit einem weiteren Schauspieler auf der Bühne unendlich kompliziert.

Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl der Stücke, der Themen?

Charlotte Wilde: Diese Auswahl folgt keinem Plan, Gründe gibt es immer verschiedene.

Vogel: Was uns gerade interessiert, uns umtreibt. Das kann sehr verschieden sein. Das kann mal eine Biografie sein wie von Robert Schumann, ein Theaterstück oder Literatur. Manchmal kommt auch einer und drückt uns eine Geschichte in die Hand. Aber entscheidend ist das Gefühl: Ja, das machen wir jetzt, das müssen wir machen.

Was das Figurentheater Wilde & Vogel so besonders macht, ist neben den Puppen und dem intensiven Spiel die Rolle der Musik, die von Charlotte Wilde komponiert und gespielt wird. Nicht einfach nur Untermalung, sondern gleichwertiges Element im Spiel. War das von Anfang an so geplant?

Wilde: Geplant eigentlich nicht. Aber ich bin von Anfang immer schon bei den Proben mit dabei, was uns von vielen anderen Theatergruppen unterscheidet. Wenn man so an einem Prozess beteiligt ist, ergeben sich ganz andere Möglichkeiten, hat die Musik einen ganz anderen Wert.

Dann lassen Sie sich für Ihre Kompositionen also von den Proben inspirieren?

Wilde: Wir inspirieren uns gegenseitig. Das ist genau der Punkt. Nicht nur ich lasse mich davon inspirieren, was auf der Bühne passiert, sondern auch umgekehrt. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Inszenierungen.

Jetzt gibt es sogar eine Doppel-CD mit dieser Musik. Wie gelingt es Ihnen, dass Musik und Schauspiel, bei dieser manchmal fast schon absoluten Präsenz der Figuren auf der Bühne, gleichwertige Elemente bleiben?

Wilde: Da gibt es nicht wirklich Schwierigkeiten, bis auf die Verbindung von Text und Musik, die ja akustisch in direkter Konkurrenz stehen. Das ist natürlich spannend, gleichzeitig auch mühsam. Was immer sehr gut funktioniert, ist Tanz und Musik, und die Figuren tanzen ja zunächst eher, als dass sie sprechen.

Sie sind schon Stammgäste im Potsdamer T-Werk, bei Ihren Vorstellungen reichen selten die Stühle, sitzen die Zuschauer auf dem Boden. Am Freitag und Samstag spielen Sie Tolkiens „Der Hobbit“. Wie hat denn ausgerechnet der freundliche Bilbo Beutlin in Ihr Programm gefunden?

Wilde: Es gibt Ideen, die man weiter verfolgt, andere verschwinden wieder. Das ist ja etwas, was uns permanent beschäftigt. Die Geschichte „Der Hobbit“ haben wir beide schon als Kinder gelesen. Was uns sofort davon überzeugt hat, das auf die Bühne zu bringen, ist die Fantasy-Welt, die mit Figuren sehr gut zu erzählen ist.

Vogel: Außerdem ist das einfach ein gute Geschichte.

Mit „Spleen“, nach Gedichten von Charles Baudelaire, das Sie im April in Potsdam aufführen, bewegen Sie sich wieder auf gewohntem Terrain. Die vom Ekel an der Welt und Selbstzweifel geplagte und zerrissene Seele.

Wilde: Da spielen wir nach langer Zeit mal wieder ein Stück nur zu zweit, denn dazwischen haben wir sehr viel mit anderen Kollegen zusammen gemacht. „Spleen“ kann man fast schon als Variete bezeichnen, das bei uns natürlich nicht vorwiegend amüsant ist. Die Gedichte in Prosaform sind wie kurze Geschichten, die wir für unser Stück noch einmal sehr gekürzt haben. Eine Art Nummernprogramm, das in seinem Ganzen eine poetische Einheit bildet. Das ist gerade auch für uns durch die lyrischen Formen ein gelungenes Zusammenspiel von Texten, Bildern und Musik.

Auffallend ist Ihr Faible für Shakespeare. Ist da in Zukunft Neues vom Figurentheater zu erwarten?

Wilde: Noch nicht konkret, wird es aber mit Sicherheit geben. Die Stücke von Shakespeare sind einfach für alle Theatermacher genial und eignen sich wunderbar für das Figurentheater.

Vogel: Da kommen wir einfach nicht dran vorbei, das sind Größen in der Weltliteratur.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Das Figurentheater Wilde & Vogel gastiert mit „Der Hobbit“ am Freitag und Samstag, 20 Uhr, im T-Werk, Schiffbauergasse. Karten unter Tel.: (0331) 71 91 39.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })