Kultur: „Papa, ich schaff das schon“
Märkischer Verlag stellte „Jakobs Augen“ vor
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Die Bücher des „Märkischen Verlages“ Wilhelmshorst sind oftmals so spannend wie ihre Entstehungsgeschichte. War schon die letzte Neuerscheinung „Frühes Licht und späte Schatten“ mit fast abenteuerlichen Umständen rund um Baumgartenbrück verbunden, so hat auch „Jakobs Augen“ eine für Außenstehende ganz ungewöhnliche Genese. Das am Sonnabend im Stadthaus präsentierte Buch schildert die „Lebenslinien“ von Klaus Mudlagk, 1944 in Heidenau geboren, im 12. Lebensjahr am Grünen Star erblindet, 2002 an Lungenkrebs verstorben.
Nach dem Verlust seines Augenlichtes beginnt sein ungewöhnliches Schicksal. Im Rahmen der Blindenbetreuung lernt er zuerst, sich selbständig zurechtzufinden, dann den Beruf eines Korbmachers, um später in mehreren DDR-Betrieben als Dreher zu arbeiten. Ein Willensmensch sondergleichen: Er fuhr mit dem Fahrrad, bestieg sogar die Alpen, baute mit Freunden sein eigenes Heim, gründete eine Familie. Seit 1991 dann tragischerweise arbeitslos, schrieb er seine Geschichte auf. Sie kam in die Hände des Verlags-Chefs Klaus-Peter Anders, welcher sie dem Schriftsteller Manfred Richter gleichsam „zur literarischen Bearbeitung“ übergab. So entstand, auf authentischer Grundlage, ein flott und sicher geschriebenes Buch über Jakob, der auch ohne eigene Sehkraft sein Leben zu meistern versteht.
Die Präsentation war für den Verlag ein ungewöhnlicher Erfolg. In Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle für Blinde und Sehbehinderte und dem Sozialwerk Potsdam kamen sage und schreibe fast siebzig Personen in den 3. Stock des sonst menschenleeren Stadthauses, darunter einige, die Klaus Mudlagk aus seinen Lehrjahren in Königs Wusterhausen und der Reha Karl-Marx-Stadt kannten, wo der größte Teil der hinreißenden Liebesgeschichte des 16-jährigen Ich-Erzählers spielt. Auch namhafte Autoren der Mark fanden sich ein.
Manfred Richter las einige Kapitel seines Buches selbst, von Jakobs Bildungsreise nach Weimar und wie der aufgeweckte Bursche ein Babykörbchen für seine schwangere Schwester Monika flicht. Man musste nicht einmal nur schmunzeln, denn der Text ist so leicht geschrieben, dass man die Probleme dahinter kaum auf Anhieb bemerkt. Es ist gerade so viel DDR-Kolorit dabei, wie man braucht, um die Geschichte von Jakob, seiner liebessüchtigen Freundin Süsann und die Ehetragödie um Vater und Mutter zu verstehen. Als seine Augen erlöschen, verspricht er ihm fest: „Papa, ich schaff das schon!“ Irre genug, wenn dann zwei minderjährige Burschen kurz vor der Mauer nach Westberlin türmen wollen, Jakob aber selbst von seinem Freund Ritchi verlassen wird. Eine wundervolle Geschichte, die man nicht Blinden nur empfehlen sollte, sondern aller Jugend von heute. Sie ist so warm, so schön geschrieben. Sie hat ein so berührendes Finale. Toll.
Widerspruch regte sich im Auditorium allerdings dort, wo der Autor den Urtext (zwei Originalkapitel von Mudlagk befinden sich zum Vergleich im Anhang) zugunsten seiner freien Gestaltung verlassen hat: Das literarisches Vorbild habe gar nicht in Babelsberg gewohnt, meinte eine Dame. Die Großmutter sei nicht dem Alkohol verfallen, und die erwähnte Buslinie zur leichteren Beförderung der Behinderten habe es niemals gegeben. Aber die anwesende Tochter von Klaus Mudlagk kann damit leben. Gut jedenfalls, dass es dieses Buch gibt, demnächst gar in einer Hörfassung. Den Blinden wird es Ermutigung sein, „dass man es schaffen kann“, den anderen pure Freude. Gerold Paul
Gerold Paul
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