Kultur: Parallelwelten
Klavierrecital Gianluca Cascioli im Raffaelsaal
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Gelegenheit für eine neue Klavierbekanntschaft bot der Raffaelsaal in der Orangerie Sanssouci. Es stellte sich der Pianist Gianluca Cascioli mit einem facettenreichen Programm zwischen Romantik und Moderne vor. Venedig, Traumstadt und Sehnsuchtsort, bildete zwar den assoziativen Aufhänger mancher Stücke. Doch es ging nicht um die Illustration eines Themas. Gianluca Cascioli begab sich auf eine Reise zu den Urgründen romantischer Klaviermusik. Von Werk zu Werk steigerte sich der junge italienische Virtuose und verzauberte die Zuhörer vollends nach der Pause.
Meditativ und bedächtig klang der Beginn mit einer kleinen Paraphrase von Johann Sebastian Bach auf ein Oboenkonzert des Venezianers Alessandro Marcello. Mit Fréderic Chopins Berceuse op. 37 folgte ein Schlaflied, eine extravagante Idee. Doch Cascioli sorgte mit sorgsam gesetzten Glöckchen-Tönen und leichtem Rubato bei aller Zurückhaltung dafür, dass die Ohren der Zuhörer für feinste Nuancen sensibiliert wurden. Ans Einschlafen war da nicht zu denken.
Noch weniger bei drei Stücken von Franz Liszt, wenn auch Cascioli wiederum auf leise Töne setzte und Liszt als vergeistigten Lyriker zeigte, der er zweifellos auch war. Aus Anlass des Todes seines Schwiegervaters komponierte Liszt drei Stücke, von denen „R.W. – Venezia“ wohl das dunkelste ist. Gianluca Cascioli gab der ernsten Meditation voll atonaler Akkorde wuchtig-schroffe Gestalt. Mit der poetischen Interpretation eines Sonetts von Petrarca und der berühmten Klavierparaphrase „Isoldes Liebestod“ endete die Hommage an Franz Liszt. Ein Werk aus eigener Feder präsentierte Gianluca Cascioli mit „In memoriam Igor Strawinsky“. Wiederum erweist er sich als fantasievoller Träumer, der gern impressionistische Klangfarben verwendet und die wilden Rhythmen und trockenen Harmonien von Strawinskys gleichsam in mildes mediterranes Herbstlicht taucht.
Effektvolles pianistisches Auftrumpfen ist keine Sache von Cascioli, der gleichwohl über stupende Technik verfügt. Er kultiviert die verinnerlichten, facettenreichen Klänge, die das Klavier zu dem beliebtesten Instrument der Romantik werden ließen. Wie keine andere verkörpert Robert Schumanns Klaviermusik das romantische Ideal einer Musik, die „dem Menschen ein unbekanntes Reich aufschließt, in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurücklässt, um sich dem Unaussprechlichen hinzugeben.“ (E.T. A. Hoffmann). In diesem Sinne interpretierte Cascioli Schumanns „Carnaval op. 9“ als phantastische Parallelwelt der Musik voll übermütiger Einfälle und melancholischer Reminiszenzen. Großer Beifall, mit Chopins Nocturne in F-Dur als Zugabe endete die pianistische Reise wieder am Anfang. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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