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Kultur: Pärchendiktatur

Christiane Rösinger im Waschhaus

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Wenn sie doch nur nicht immer so recht hätte! Vielleicht merkt man einfach gar nicht, wie sehr man in diesen gesellschaftlich-zwangsromantischen Zwängen verhaftet ist, ach was: schon längst in der Tretmühle der Pärchendiktatur unterdrückt wird. So ist es gut, dass es Christiane Rösinger gibt, die einem dafür die Augen öffnet – und das ist an dieser Stelle, wenn auch mit einem Augenzwinkern, ganz ernst gemeint. Rösinger hatte sich am Donnerstag das Waschhaus ausgesucht, um ihre Lesetour zum Sachbuch „Liebe wird oft überbewertet“ ausklingen zu lassen. Und ihre Mission, nämlich das wissenschaftlich fundierte Ende der RZB (= romantische Zweierbeziehung) einzuleiten, wurde dabei mit der gleichen Verbissenheit verfolgt, wie sie bereits 1992 mit den Lassie Singers eingeläutet wurde: „Ihr denkt, ihr seid im Märchen, doch ihr seid nur blöde Pärchen!“ Richtig so, bei derartigem medialen Romantik-Overload wird es Zeit, Position zu beziehen.

Und das macht Rösinger, indem sie Raketen in den Pärchenhimmel feuert. Bewusst oberlehrerhaft-distanziert zitiert sie Dutzende wissenschaftliche Manifeste in eindeutig manipulativer Absicht: Da muss auch Knut herhalten, „der Justin Bieber der Tierwelt“, der von der Gesellschaft zu einer RZB gezwungen wird und daran zugrunde geht. Das alles hat etwas von einem aus dem Ruder gelaufenen Studiumreferat: Niemand protestiert oder unterbricht, aber das unterdrückte Lachen stachelt die Referentin nur an. Ob Rösinger ihre Show ernst meint, lässt sich kaum feststellen. Sie profitiert von ihrer Aura der Verunsicherung und inszeniert sich mit schlabbriger Jacke und schwarzen Männerjeans bewusst unerotisch. Dabei entsteht eine seltsame Mischung aus Tragik und Vorwurf, welche die Verbitterung durch Zynismus ersetzt. Ja, möglicherweise ist die Negation der Liebe in ihrem romantischen, im kollektiven Bewusstsein verankerten Bild genau der Knackpunkt, der dem System der „RZB“ dessen Notwendigkeit verleiht. „Liebe ist das Schmiermittel des Kapitalismus“: Das ungleiche „Titanic“-Pärchen hätte gar nicht untergehen müssen, spätestens auf dem Festland wäre eh die Trennung gekommen. Das klingt witzig, aber schlüssig – auch wenn es wohl kaum die lebenserhaltende Illusion der ewigen Liebe zu zerstören in der Lage ist. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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