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Wenn sonst nichts mehr hilft. Als Radiomoderator hatte es Tommy Wosch zu Kultstatus gebracht. Mit seinem Bühnenprogramm „Homo“ liefert er nur noch pubertäre Plattheiten wie am Fließband.

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POTSDAM-KULTUR: Permanentes Niveau-Bashing

Tommy Wosch inszeniert seinen eigenen Abgesang im Lindenpark

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Sapperlot, Tommy Wosch, großmäuliger Held so mancher Jugend! Waren das noch Zeiten, damals, nächtelang hatte man beim Fritz-Talk „Blue Moon“ an seinen Lippen geklebt, dieser unberechenbare Hund. Legendär Woschs Ausraster, die unvermittelt jeden Anrufer treffen konnten, und das „on air“: Diese Moderationen waren so anrüchig, dass sie schon an Revolution grenzten. So etwas wie Wosch gab es schlichtweg nicht noch mal, und selbst Kodderschnauze Kuttner wirkte gegen den Choleriker Wosch wie ein Ministrant. Einmal noch diese Zeiten aufleben lassen! Und da war sie, die Chance, und als Wosch die Bühne im Lindenpark betrat und den ersten zu spät Kommenden mit „Setz dich hin, du Arsch!“ anranzte, da war sie wieder da, die Hoffnung, dass alles wieder so wie in den goldenen 90ern sein würde.

Aber nein, Tommy Wosch, es hat nicht sollen sein. Wenn man schon auf alles gefasst ist, aber dann doch nur mit müde-gequältem Lächeln auf den Fußboden vor sich starrt, dann darf man mit Fug und Recht enttäuscht sein. Vielleicht lässt es sich damit erklären, dass Woschs Stärke nun mal die Interaktion ist, und diese ließ am Freitagabend – abgesehen vom eher peinlichen Zurschaustellen eines Pärchens auf der Bühne – einfach mal zu wünschen übrig. Vielleicht wird Wosch auch mit einer einstudierten Show lediglich den Ansprüchen an seine Profilneurose nicht gerecht. Aber warum nur dieser prollige Brechstangenhumor, der sich fast ausschließlich auf billige Witze über sekundäre Geschlechtsmerkmale reduzieren ließ? Provozieren um jeden Preis? Aber das konnte Tommy Wosch doch mal viel besser, spontaner, mit überschäumendem Esprit, sodass man hysterisch lachend das Radio lauter drehte. War Woschs Qualität, andere schonungslos vorzuführen, so gelang ihm das diesmal höchstens noch mit sich selbst.

Das fing schon damit an, dass der Provokationstitel „Homo“, der seine Tour gemeinsam mit Michi Balzer ziert, nicht mehr als heiße Luft war. Ja, „Homo“ ist lateinisch und heißt „Mensch“ – „Du Homo!“, haha, haben wir gelacht! Ist da Tommy Wosch wirklich nichts Besseres eingefallen? Jede Wette, dass einige männlichen Besucher, die tags zuvor noch das deutsche Fußballdilemma gegen Italien verkraften mussten, sich nun inflationär als „Homos“ titulieren werden. Geschenkt, schließlich ging es diesen Abend ja um das Thema Mensch, da kann man diesen Totschlagklamauk auch mal ignorieren.

Wosch und Balzer hatten sich also in eine schmissige Verkleidung geworfen, Wosch in einen Arztkittel und Balzer in ein OP-Kleid, und damit waren die Rollen auch schon klar verteilt. Michi Balzer war Ossi und gefügiges Opfer, durfte nicht allzu viel sagen, dafür seinen nackten Hintern präsentieren, seinen Fuß in einen Eimer mit Hundescheiße stellen und in einer missglückten Operation sein Gehirn durch ein Hühnerhirn ersetzen lassen. Singen durfte er auch mal – und zwar Grönemeyers „Mensch“, wie passend – ansonsten war er nicht mehr als Stichwortgeber. Wosch kalauerte sich mittlerweile durch eine pseudo-anthropologische PowerPoint-Präsentation mit lustigen, zweideutigen Bildern.

Und zog derart vom Leder, dass einem nichts anderes übrig blieb, als sich auf dieses Niveau erstmal herunterzutrinken. Vom „nervösen Schamlippenflattern“ bis zur „Schnappatmung des Schließmuskels“ ließ Wosch keine Entgleisung aus, und natürlich war sein Gemächt gigantisch, während er nicht müde wurde zu betonen, dass Michi Balzer nur einen „kleinen Schwanz“ besitze. Oder Quizgewinner und Soldat Daniel, der als Preis ein blaues Basecap mit der Aufschrift „Homo“ überreicht bekam, damit er „bei seinen Gefreitenkollegen“ besser ankomme. Fremdschämend nahm man nur noch am Rande wahr, dass Tommy Wosch längst keine 18 mehr ist, aber offensichtlich an einem herben Rückfall in die schwärzeste Phase seiner Pubertät litt. Dieses permanente Niveau-Bashing hätte wesentlich besser als Rahmenprogramm zu einem Nachmittagskampftrinken am Ballermann gepasst, als Anheizer für Jürgen Drews. Aber Wosch war ja im Dienste der Wissenschaft unterwegs, da gab es anspruchsvolle Fragen zu klären: „Warum frisst der Mensch nicht mit dem Arsch und scheißt mit dem Mund?“ Warum man Tommy Wosch mit einem derartigen Programm auf die Bühne lässt, war eine wesentlich drängendere Frage.

Und irgendwie wurde man das Gefühl nicht mehr los, dass Wosch hier seinen eigenen Abgesang inszenierte. Nach dem Rauswurf beim Radiosender Fritz, dessen Aushängeschild er immerhin 15 Jahre lang war, jetzt die Kündigung beim ewig Fritz hinterherhechelnden Sender „NRJ“. Wosch hatte als Plan B allerdings schon in petto, bei „MongoFM“, dem Radiosender „von Behinderten für Behinderte“, eine neue Karriere zu beginnen. Aber hat denn auch jemand political correctness von ihm erwartet?

Bitte, liebe Radiosender, gebt Tommy Wosch noch eine Chance! Der Mann gehört ins Radio, und auf keinen, aber auch gar keinen Fall mit einem Programm auf eine Bühne. Erst recht nicht mit diesem.

Oliver Dietrich

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