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Kultur: Phantasievoll und modern KAP modern: Hugo Wolf

begegnet Charles Ives

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Auf den ersten Blick erscheint die Idee, Lieder von Hugo Wolf mit Liedern von Charles Ives in einem Programm zu kombinieren, gewagt. Hier der avantgardistische Amerikaner, dort der spätromantische Wagner-Fan. Doch was auf der Bühne des Nikolaisaals in der Reihe „Kammerakademie Modern“ erklang, ließ sich gut anhören. Das lag nicht zuletzt an den originellen Bearbeitungen, mit denen der Komponist und Dirigent Sebastian Gottschick die Lieder neu eingekleidet hat. Zum Erfolg trug ebenfalls der englische Bariton Omar Ebrahim mit klangvoller Stimme und klugem Sinn für Text und Ausdruck viel bei.

Musiker und Zuhörer sitzen einander auf der Bühne des Nikolaisaales gegenüber, so ist für Intimität und maximale Akustik gleichzeitig gesorgt. Interessanterweise verschwimmen im Lauf des Abends die musikalischen Gegensätze immer mehr. Beide Komponisten pflegten mehr die musikalische Deklamation als die melodische Linie. Beide legten Wert auf eine kongeniale Umsetzung des poetischen Gehalts in der Musik – sozusagen in radikaler Weiterentwicklung der Ideen der ersten Opernkomponisten. Neu hinzu kommt die Auflösung traditioneller Harmonien und Rhythmen zugunsten freier musikalischer Erfindungen.

Einige Lieder zeigen Ives als kenntnis- und einfallsreichen Zweitverwerter von musikalischen Zitaten und Klängen aus Zirkus, Militär oder Ballroom, aber auch aus geistlicher, romantischer und impressionistischer Musik. Auch wird seine originelle Kunst bei schöpferisch verfremdeten Naturbildern deutlich, wie in den erlesenen Fluss-Liedern. Hier darf die Violine (souverän: Matan Dagan) auch schon mal im üppigen Kreisler-Stil strahlen. Ins Innere oder wenn man so will über die Oberfläche materieller Phänomene hinaus führen die Lieder nach Gedichten Walt Whitman, Lord Byron und John Milton. Nicht nur hier findet Sebastian Gottschick unkonventionelle Klangbilder voll exotischer Reize, schimmernd, grell, luftig, zischend oder strudelig, mit angenehmem Understatement. Einzigartig kurz und prägnant fallen die Schlussformeln aus – eine Frage lässt Ives immer offen.

Hugos Wolfs schwerblütige Lieder verlieren in Gottschicks kammermusikalischen Bearbeitungen einiges von ihrem spätromantischen Pathos. Die lastende Fin-de-siècle-Aura wird gemildert und durch ingeniöse Klänge in neues Licht gesetzt. Speziell bei einem so bekannten Lied wie „Um Mitternacht“ nach einem Gedicht von Eduard Mörike macht sich das positiv bemerkbar. Im Verein mit der vollmundigen, keineswegs glatt geschliffenen Stimme von Omar Ebrahim erscheinen die Kompositionen von Hugo Wolf in einem zeitgenössischen Gewand. Zum guten Klang tragen die solistisch besetzten Instrumente bei. Sie reichem von Klavier (Yoriko Ikeya) über Streicher (Matan Dagan, Ulrike Hofmann, Anna Hofmann) bis zu Flöte (Bettina Lange), Klarinette (Matthias Simm), Horn (Christian Müller) und Schlagzeug (Friedemann Werzlau, Florian Goltz). Auch einige Instrumentalstücke gaben den Musikern der Kammerakademie Gelegenheit, ihre souveräne Beherrschung von moderner Musik unter Beweis zu stellen. Das längste Werk des Abends, die „Partita“, eine Fantasie über den Luther-Choral „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“ offenbart erneut Gottschicks phantasievolle kompositorische Kreativität. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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