Kultur: Pinters „wirkliche Wahrheit“ HOT-Annäherungen an einen Nobelpreisträger
Als Harold Pinter im letzten Oktober der Literaturnobelpreis zugesprochen wurde, war das Rauschen im Blätterwald gewaltig. Die meisten Kritiker wussten sogleich, dass das die ganz klar falsche Entscheidung des noblen Komitees gewesen war.
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Als Harold Pinter im letzten Oktober der Literaturnobelpreis zugesprochen wurde, war das Rauschen im Blätterwald gewaltig. Die meisten Kritiker wussten sogleich, dass das die ganz klar falsche Entscheidung des noblen Komitees gewesen war. Hierzulande wagte nur einer zu loben: Marcel Reich-Ranicki sprach von einem „absolut verdienten“ Preis, Sigrid Löffler nannte Pinter „démodé“ und Denis Scheck sah die Auszeichnung gar als eine „Beleidigung der Weltliteratur“.
Aus der Mode gekommen ist die Haltung eines à la Zola agitpropierenden „Ich-klage-an“-Stils allemal. Davon konnten sich am Montagabend die Zuschauer im Walhalla anlässlich der Studio-Annäherung des Hans Otto Theaters an die Sprache des wütenden alten Mannes überzeugen. Grautöne gibt es nicht, weder in dem auf der etwas größeren Bühne gezeigten Einakters „Noch einen letzten“, noch in den dazwischen geschalteten, von Hans-Joachim Röhrig nur mäßig wütend gelesenen Auszügen aus der Rede Pinters zur Nobelpreisverleihung. Ganz klar ist in jedem Fall, wer der Schuldige ist. Ob das der diktatorische Verhörer in Gestalt des Anzug tragenden, sich an Alkohol und seiner erbärmlichen Macht aufgeilende Henrik Schubert ist oder ob das die große Weltmacht USA ist, die der Bürger Harold Pinter anklagte.
Da gibt es nur Schwarz und nur Weiß, unschuldig wie die Lämmer die Verhörten, Kay Dietrich als gebrochenes Opfer blass im Gesicht, den Körper immer weiter nach unten sacken lassend, am Ende auch ohne die anfänglich noch aufscheinende Kraft des stummen Widerspruchs; Jennipher Antoni als Mutter hin und her lavierend zwischen Kooperation mit den Unterdrückern, die ihr Kind in der Gewalt haben und es gegen die Eltern ausspielen. Man wusste im Walhalla nicht genau, ob die Möglichkeiten für die Schauspieler durch die Regie von Carsten Kochan oder das Drama selbst so eingeschränkt wurden. Denn bis auf die anfängliche stumme Auflehnung gegen seinen Verhörer zeigte Kay Dietrich lediglich totale Resignation, und auch Jennipher Antoni blieb bis auf ein einmaliges Extemporieren wenig Möglichkeit zum Ausloten eines zumindest passiven Widerstandes. Aber was will man tun, wenn die Wahrheit so klar ist, dass nur noch Anklage möglich ist? Er könne heutzutage nicht mehr so schreiben wie früher, sagte der Preisträger, denn schließlich verachte er die Mächtigen und sei auf der Seite der Machtlosen.
Das Problem bei der Inszenierung resultierte daraus, dass dem Zuschauer lediglich die Möglichkeit der Solidarisierung mit den Unterdrückten blieb, ein Dazwischen, ein Zögern, einen Zweifel gab es nicht. Und genau dies ist wohl das Unbehagen an der Nobelpreisentscheidung, denn Pinter hat sich in den letzten zwanzig Jahren von einem absurd-komischen Dramatiker in einen Weltgewissensdramatiker verwandelt. Das ist legitim und vielleicht sogar politisch wichtig und korrekt, und sicher hatte jeder seine klammheimliche Freude daran, dass der amerikanische Präsident als oberster Universalbösewicht dargestellt wurde, der sein Volk belügt, der „penibel gekämmt, ernst, gewinnend, aufrichtig“ erscheint, aber Krieg führt im Namen seines Gottes, der keine anderen Götter neben sich kennt. Allerdings hat Harold Pinter, der wahrheitsliebende Bürger, dadurch tatsächlich Harold Pinter, den pinteresken Dramatiker, verraten. Der Zuschauer erhält keine Freiheit, Pinter zwingt ihn zur aufrichtigen Haltung, die ebenso einengend wirkt wie die Zustände, die er anprangert. Lore Bardens
Lore Bardens
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