Kultur: Plädoyer für Engel
Das Theater Goigoi und Gerhard Schöne im Treffpunkt Freizeit
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„Ich seh'' ja gar nichts, da sitzen Erwachsene davor“, monierte ein kleiner Theaterbesucher am Freitagabend im Treffpunkt Freizeit, bevor das Stück „Die blaue Ampel“ von Gerhard Schöne und dem Theater Goigoi die enorm vielen kleinen und großen Zuschauer in seinen Bann nehmen konnte. Denn nachdem es einmal losgegangen war, beschwerte sich niemand mehr, so sehr verzauberte das Stück (Regie: Gela Eichhorn), schon kurz nachdem es begonnen hatte.
Liedermacher Gerhard Schöne eröffnete das Schauspiel mit der erstaunlichen Einladung „Bist du ein Spinner? Komm rein“ und schlug sich somit gleich mit dem ersten Song auf die Seite der nicht Angepassten, der Träumer, der Langsamen. Insgesamt war der Abend ein Plädoyer für die „Sternschnuppenanbeter“, eine eindeutige Stellungnahme für die so genannten schwachen Seiten der Menschen, die heutzutage so gut funktionieren müssen und meist keine Zeit und Fantasie mehr haben, irgend etwas anzubeten, außer dem Mammon. Dafür nehmen die Ängste zu, das wissen die Psychologen, und das wissen auch die Theatermacher.
Sogar die beiden Clowns des Theaters Goigoi, Frau Trotzki (Katja Rogner) und Herr Fernando (Detlef Gohlke), haben Angst. So sehr, dass sie nachts nicht mehr schlafen können. Sie überbieten sich geradezu in Schlaflosigkeit, Herr Fernando hat seit Tagen kein Auge mehr zugedrückt, Frau Trotzki aber schon mindestens viereinhalb Wochen, wie sie behauptet. Das soll einer verstehen, denn immerhin laufen die beiden den ganzen Tag in der Gegend herum, die auf der Bühne allein durch eine flexible Treppe und rotweiße Verkehrsleitpyramiden angedeutet ist. Das müsste doch müde machen, außerdem tragen sie kleine Lampions vor sich her, Lichter, die im Dunkeln die Angst wegleuchten könnten.
Das Clownspaar befindet sich auf einer Reise. Zu Fuß durchwandern sie fremde Gebiete, und da ist die Nacht so „sehr sehr dunkel“, dass es kein Wunder ist, wenn sie sich fürchten. Die Dunkelheit ist überall, es ist zum Davonlaufen, sie verfolgt die beiden Angsthasen und lässt sie nicht los. Hilfe in Gestalt des „Nachtschlafspezialisten“ Gerhard Schöne naht. Und tatsächlich, der Sänger ist – vor allem wegen seiner Glatze – nicht nur auf den Schlaf, sondern auch auf die Angst spezialisiert, und zwar so, dass er darüber Lieder singen kann. Lieder, die den Kindern (und den Großen) die Furcht nehmen, denn sie bringen sie zum Lachen. „Ich hab Angst, Angst, Angst“, singt da der Glatzenmann, und schon fühlen sich die Kinder verstanden, aufgehoben und weit weniger ängstlich. Sie grinsen, als er singt: „Ich hab Angst, mir den Kopf zu stoßen“, und sie lachen breit und doll, als er seine Furcht vor den „dicken Tanten, die mich küssen wollen“ zugibt. Doch ist es noch ein weites Stück Weg, bis die Angst insgesamt besiegt ist und der selige Schlaf die beiden Clowns wieder zufrieden werden lässt.
Bis dahin singt Gerhard Schöne viele schöne Lieder, nicht wenige davon handeln von Engeln, denen er breiten Raum schenkt: Es gibt den „Engel, der die Träume macht – Hut ab vor so viel Fantasie“, es gibt den „langsamsten Engel, den Beschützer der Schnecken“ und es gibt den „Engel, der nein sagt“, das ist der aufrechte, der, der seinem Gewissen gehorcht. Wenn es nämlich darum geht, in der Schule den Regenwurm in Stücke zu schneiden, dann sagt dieser Engel nein, und dann sagen am Ende auch alle Zuschauer laut „nein“ und sind bejahend vereint in dieser Erfahrung, dass es im Leben auch um anderes gehen könnte, als um das bloße Funktionieren.
Ein schönes, poetisches Stück mit hervorragenden Clowns, einem Spezialisten für Zivilcourage und Sinn für die kleinen und großen Menschen.
Lore Bardens
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