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Kultur: Play it again, Paul

Paul Kuhn mit der Big Band des Filmorchesters im Nikolaisaal

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Paul Kuhn mit der Big Band des Filmorchesters im Nikolaisaal Von Matthias Hassenpflug It don’t mean a thing, if it ain’t got that swing. Nur was richtig swingt, sagt Duke Ellington, besitzt Bedeutung. Die Nachkriegszeit vibrierte, das Wirtschaftswunder wurde vollbracht, in den Tanzlokalen traf man sich bei Schlagermusik und Paul Kuhn saß am Piano und unterlegte den wachsenden Wohlstand mit seinem Swing. Vieles hat sich verändert seit dieser Zeit. Duke Ellington, Count Basie, Ray Charles und Cole Porter werden lange nicht mehr mit Aufschwung und Fortschritt in Verbindung gebracht, „’ne flotte Sohle" wird dazu auch nicht mehr „auf’s Parkett gelegt", doch Paul Kuhn bleibt – das konnte der ausverkaufte Nikolaisaal am Sonntag erleben – nach wie vor „der Mann am Klavier“ mit Jazz im Herzen und Swing im Blut. „Jazz ist nicht immer hoch, laut und schrill“, gibt der 77jährige zur Begrüßung seinem Publikum als Entwarnung mit. Viele davon sind mit Kuhn alt geworden und hätten für Rohheiten der Jugend wenig Verständnis. Das Paul Kuhn Trio und die mit ihm trotz der nur knapp bemessenen zwei Tage Vorbereitungszeit perfekt harmonierenden 15 Mann der Big Band des Deutschen Filmorchesters Babelsberg spielen Salonswing – brav, oft gedämpft, aber fein und nuancenreich. Der Musiker in Kuhn ist noch so jung wie damals, als er, 1953 war das, zu Deutschlands Jazzpianisten Nr. 1 gewählt wurde, oder als er Anfang der 70er als Bandleader die SFB-Big-Band leitete. Die sanfte Stimme, mit der Kuhn immer bereit ist, in seinen Moderationen über sein Alter und seine Sehschwäche Scherze zu machen, ist ungebrochen und gewinnend, ganz wie sein Lächeln. Als er „Sommerwind“ anstimmt, geht ein Seufzer des Erinnerns durch die Reihen. Der alte Jazzrecke ist zu einer Art Mönch geworden, der auf den Applaus verzichten könnte, nicht aber auf die Musik. Und als eine Art Heiliger muss er die Big-Band nicht mehr dirigieren. Blickkontakt ist nicht nötig. Kuhns Aura, verbreitet durch einen eher angedeuteten Handschlenker hier und einen kleinen Knicks in den Beinen dort, reicht aus, um dem souveränen Klangkörper sein Mantra zu übertragen. Gefügig wie Schuljungen treten die Solisten, Saxophon, Flügelhorn oder Posaune nach vorne neben den Meister. Ihre kurzen, recht zahmen Improvisationen werden vom Publikum jeweils freundlichst beklatscht. „So, ich geh’ jetzt mal an’s Klavier, ich kann mir vorstellen, dass Sie ..." – der Rest der Ansage geht im freudigen Jubel unter. „Easy to Love“ von Cole Porter ist das erste Stück, was „Paulchen" in seinem Trio in Begleitung seines Bassisten Paul C. Ulrich und seines Schlagzeugers Willy Ketzer, ein Virtuose des „Rührbesens“, vorträgt. Das einzige Blatt, von dem Kuhn während des gesamten Abends versucht abzulesen, verzeichnet die Spielfolge der Songs. Jemand wie Kuhn, dessen musikalisches Genie mit dem Leonard Bernsteins verglichen wurde, braucht keine Noten. Nur ein feines Ohr und gefühlvolle Hände. Nach zwei, freilich eingeplanten Zugaben, „Glory, Halleluja“ und „Route 66“, ist für den Abend zwar Schluss. Aber der Applaus in Potsdam bittet ihn: Spiel es noch mal, Paul!

Matthias Hassenpflug

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