Kultur: Pointenreiche Briefe
Bettina und Clemens Brentano bei den „Märkischen Dickköpfen“
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Bettina und Clemens Brentano bei den „Märkischen Dickköpfen“ Erst mit 13 Jahren lernt Bettina Brentano 1798 ihren Bruder Clemens kennen. Wie eng und vertraulich die Geschwisterbeziehung sich in wenigen Jahren entwickelt, bezeugt „Clemens Brentanos Frühlingskranz“, der von Bettina herausgegebene Briefwechsel beider. Im Rahmen der Reihe „Märkische Dickköpfe“ lasen Katrin Schwingel und Philipp Mauritz am Sonntag Vormittag im Steigenberger Maxx Hotel eine Auswahl der Briefe aus den Jahren 1801 bis 1803. Während Bettina 1801 gerade Achim von Arnim kennen gelernt hat und mit den gesellschaftlichen Konventionen hadert, reist Clemens durch die Welt und von einer Liebschaft zur anderen. Seine um sieben Jahre jüngere Schwester weiht er in seine Seelennöte und Affären ein. Doch nicht nur das, er bittet sie auch um Beistand und sogar um Fürbitte bei der jeweils Angebeteten. Bettina soll ihnen schreiben und die ihr Unbekannten so für den Bruder einnehmen. Die kleine Schwester reagiert gelassen, ironisch. Mal ahmt sie den pathetischen Ton von Clemens nach, mal erinnert sie ihn an die voraussehbare Kurzlebigkeit seiner Lieben. Manchmal ermutigt sie ihn durch das Bekenntnis der eigenen Zuneigung. Eine gar zu direkte Einmischung in seine Liebesgeschichten lehnt sie rigoros immer wieder ab. Wenn er mal wieder zu sehr in Liebesnöten steckt, rät sie: „Versuch zu dichten, das erleichtert die Brust.“ Katrin Schwingel gibt die aufmüpfige Bettina mit all dem Charme, der Koketterie und dem Trotz, die in den Briefen aufflammen. Ganz als romantischer Schöngeist reagiert Philipp Mauritz in den Worten Clemens mit betonter Zurückhaltung auf die Ausbrüche Bettinas. Eingeflochten in seine Briefe sind Gedichte des Poeten. So wird dessen Lyrik auf die autobiographischen Koordinaten bezogen. „Wir wollen recht vertrauend einander schreiben“, bittet Bettina. Das schließt auch ein, dass beide mitunter hart ins Gericht gehen. Für Bettina sind es die Forderungen des Bruders, sie solle sich anpassen an die Normvorstellungen der Gesellschaft, gegen die sie sich wehrt. Sie will nicht auch noch von ihm zu einem angenehmen und anständigen Mädel erzogen werden, „das kommt mir horrible vor“. Bezogen auf die Benimmregeln für bürgerliche Mädchen, fragt sie provokant „Wer hat diese Lügen gemacht?“. Diese dickköpfige Schwester bestraft Clemens schon mal mit Kommunikationsentzug. Die Sprache der Briefe ist von großer Poesie, die Pointen sind vortrefflich gesetzt. Plastisch treten beide Persönlichkeiten in der Auswahl der Texte, die Hans-Jochen Röhrig für diese Matinee zusammenstellte, hervor. Allerdings, die Briefe sind Inszenierungen von Bettina. 1842 starb Clemens. Der zwei Jahre später veröffentlichte Briefwechsel wird von Bettina wie auch schon ihre Briefe an Goethe und ihr Briefwechsel mit der Dichterin Günderode bearbeitet. Sie fügt neue Briefe hinzu und lässt die Daten, die eine genaue Rekonstruierbarkeit ermöglichen würden, weg. So changieren ihre Briefromane zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Einer eindeutigen Autorschaft entziehen sie sich. Ganz dem Anspruch der Romantik verpflichtet, eine Sympoesie zu schaffen, setzt Bettina konsequent auf den Dialog als Schreibprinzip. Selbst die nachträglichen Überarbeitungen haben immer ein Gegenüber im Blick. Helen Thein
Helen Thein
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