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Kultur: Pointiert und lakonisch

Vocalise 2003: Konzert des Neuen Kammerorchesters Potsdam

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Vocalise 2003: Konzert des Neuen Kammerorchesters Potsdam Der Soldat solle nie in seine Heimat zurückgehen, sagt der Teufel nach langen Jahren ihrer Bekanntschaft, sonst sei er „des Teufels“. Doch das Heimweh des Kriegsmannes zur Mutter ist stärker. Trotz Warnung überschreitet er die Grenze, fährt unter teuflischem Hohn lachend zur Hölle. Die Vorlage für seine „Geschichte vom Soldaten“ entdeckte Igor Strawinsky in Afanassjews Sammlung russischer Märchen. Der mit dem russischen Komponisten befreundete schweizerische Prosaist Charles F. Ramuz schuf daraus eine von Musiknummern begleitete Erzählung mit Tanz. Auf Gesang hofft man dabei vergebens. Dafür gibt es eine stark rhythmisierte Sprache, die diese Funktion übernehmen soll. Wenn man so will, könnte das Ganze eine Art von modernem Musiktheater sein. Als solches preisen es die Potsdamer Koproduzenten (Neues Kammerorchester, Hans Otto Theater und T-Werk) auch dem Publikum der „Vocalise“-Aufführung in der Erlöserkirche an. Wenig davon löst sich ein. Mehr Bescheidenheit zuvor hätte den Machern gut angestanden. Sie verzichten auf die Tanzrolle der Prinzessin, die nun als Scherenschnittfigur per Schattenspiel erscheint, reduzieren den Teufel auf eine pure Sprechpartie. Im Altarraum steht ein vorhangverkleidetes kabuffartiges Geviert, in dem sechs Instrumentalisten sitzen und drei Schauspieler hinter einem Notenpult stehen. Vorhang auf, Text abliefern, Vorhang zu... So geht das eine Weile, bis die Musiker die angestammten Plätze im „Orchester“raum einnehmen, die in Straßenanzüge gekleideten Mimen Hans-Jochen Röhrig (Erzähler), Torsten Spohn (Soldat) und Dominik Stein (Teufel) in der Gegend herumwuseln. Sie suchen weitere Stehpulte auf, wo ihnen die Vorlagen zum Ablesen der Texte liegen. So also sieht Musiktheater nach dem Willen von Jens-Uwe Sprengel (Licht/Regie) und Heide Schollähn (Bühnenbild/Kostüme) aus?! Doch Halt: Tisch und Stuhl stehen im Kabuff, um die Kneipe vorzuzeigen, in der der Teufel beim Kartenspiel besoffen gemacht wird, damit der Soldat wieder in den Besitz seiner Geige kommt, die ihm Luzifer zuvor gegen das Versprechen von Reichtum abgelistet hatte. Auch dort liegt wieder ein Textzettel herum. Zu diesem szenischen Patchwork passt die pointierte Partitur Strawinskys hervorragend. Durch das hinreißend lakonische und rhythmisch präzise Spiel von Mitgliedern des Neuen Kammerorchesters unter Leitung von Ud Joffe offenbart die Musik ihre distanzierte, lapidare und ironisch verfremdete Haltung. Dem prägnanten Musizieren entspricht der gewissenhafte Sprechvortrag. Rhetorisch geradeaus legt Torsten Spohn seinen Soldaten an, während Dominik Stein als körperwendiger Mime auch sprachliche Geschmeidigkeit ins Feld führt. Hans-Jochen Röhrig hält souverän die Erzählfäden zusammen. Der Parabel von der Suche nach Vollkommenheit, Glück und Liebe im Zwiespalt mit den Gefahren durch schnöden Mammon folgt Schuberts Sinfonie Nr. 7 h-Moll D 759, die „Unvollendete“. Joffes kraftvoller, konfliktauslotender Ausdeutung liegt etwas Fragendes, Suchendes, Bohrendes und Unstetes zu Grunde. Liedhaftes der beiden Sätze befindet sich im steten Ringen mit Dramatik. Er erzeugt eine Spannung, die die lyrischen Ruhepunkte dominiert. Schuberts Empfindungen und Erfindungen bringt er schon in der durch Celli und Kontrabässe erzeugten dunklen Einleitungsmelodie zum überzeugenden Ausdruck. Ebenfalls im Pianissimo antworten die Geigen mit leise webenden Sechzehnteln. Unruhe folgt auf Schwermut und Liedgesang – des Ringens bis hin zur klingenden und klagenden Gewalttätigkeit ist der Boden bereitet. Kantables Singen, Trost und Trauer verschlingen sich im Andante zur Suche nach Gesang als Sinnbild für Glück, immer wieder unterbrochen von schmerzlichen Reminiszenzen. Die überzeugende Gestaltung seelischen Geschehens mit all seinen Erschütterungen und Lichtblicken liegt bei Joffe und seinen Musikern in den besten Händen.Peter Buske

Peter Buske

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