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Kultur: Pointierte Eskapaden

Musik am preußischen Hof bei Bachtagen unter der „Schirmherrschaft Friedrich des Großen“ in der Französischen Kirche

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Musik am preußischen Hof bei Bachtagen unter der „Schirmherrschaft Friedrich des Großen“ in der Französischen Kirche Wenn Fritzens cholerischer Vater Friedrich Wilhelm I. unverhofft zur Visite auf Schloss Rheinsberg erscheint, werden Flöten und Musikalien rasch beiseite geräumt. Nichts darf an den musikalisch-literarisch-geistvollen Zeitvertreib erinnern, dem sich der Kronprinz mit seinen Getreuen hingibt. Viele, die wie Cembalist Christoph Schaffrath seit 1736 dem Flötenspieler von Rheinsberg assistieren, nimmt Majestät nach der Thronbesteigung mit nach Berlin und Potsdam. Sie bilden den Kern der preußischen Hofkapelle. Doch als Carl Philipp Emanuel Bach 1741 Anstellung als Kammercembalist findet, geht beispielsweise Schaffrath als Kammermusiker zu Friedrichs Schwester Anna Amalia. Die „Musik am preußischen Hof“ kennt viele Facetten und Auftraggeber, wovon das gleichnamige Konzert im Rahmen der Bachtage in der Französischen Kirche am Bassinplatz künden will. Kompositionen für (Barock-)Oboe und Cembalo stehen auf dem Programm. Eine glatte Irreführung der zahlreich Erschienenen, die das Konzert im noch nach frischer Farbe riechenden Ambiente genießen und sich von den Vorzüglichkeiten des akustischen Spezialanstrichs überzeugen können. Ein sehr geeigneter Spielort für delikate Kammermusikklänge. Die werden von Wolfgang Kube (Oboe) und Thomas Müller (Cembalo) zwar auf wohlklingenden Instrumenten hervorgebracht, sind jedoch für diese Besetzung so nicht komponiert. Kein Verweis darauf auf dem Programmzettel, kein verbaler Hinweis von Wolfgang Kube auf diesen Sachverhalt. Eine unverständliche Geheimniskrämerei, schließlich hat sich Fritzens Vater ja nicht für diesen Abend angesagt. Abgesehen davon erzählt Kube sehr faktenkundig und angenehm sachlich von den jeweiligen Komponisten, ihrem gesellschaftlichen Umfeld und Bezug zu Johann Sebastian Bach. Von den Werken erfährt man durch ihn allerdings nichts. Schämt man sich der Adaptionen gleich unehelichen Kindern? Dabei erweisen sich die Musiker durchaus als fürsorgliche Pflegeväter. Sie sind Mitglieder der „Rheinsberger Hofkapelle 2002“. Mit diesem alljährlich vergebenen Titel darf sich ein Ensemble für Alte Musik schmücken, wenn es von der Bundes- und Landesakademie Rheinsberg für würdig befunden wird und die Musiktradition des friderizianischen Pilgerortes wahrt. In der Höhe nähere sie sich der Menschenstimme, wissen Tonästheten vom Klang der Oboe zu rühmen. Doch „untenherum“ habe sie „viel Gänsemäßiges“. Und so wird den Oboisten empfohlen, dass „der Meister seinen Hauch so in der Gewalt hat, dass er den tiefen Tönen dadurch ihre Unannehmlichkeit abringt“. Wolfgang Kube versteht es vorzüglich, seiner klappenlosen Barockoboe die biegsamsten, mildesten und anschmiegsamsten Töne zu entlocken, auch wenn es beispielsweise in der Sonate C-Dur BWV 1033 (original: Querflöte und Klavier) gelegentlich etwas quakend in der Tiefe zugeht. Auch in Bachs g-Moll-Sonata BWV 1020 (für Violine oder Flöte nebst Klavier) bläst er die Adagii sehr ausdrucksvoll, als einen schier atemunendlichen Legatogesang. Apollinische Sanftmut und Gelöstheit verbreitet er in Schaffraths galant-gefälliger Sonate d-Moll für Oboe (?) und Basso continuo, während er in Carl Philipp Emanuel Bachs ausdrucksintensiver Sonate g-Moll Wq 135 mit einer beachtlichen gestalterischen Tiefe aufwartet. Profunde Unterstützung erfährt er durch den stilkundigen Cembalisten Thomas Müller, der vom gefälligen Stützaccompagnement (BWV 1033) bis zum eigenständigen, virtuos ausgezierten und wettstreitenden Part (BWV 1020) über die erforderliche Spannbreite tastatierender Fingerfertigkeit verfügt, die schließlich in pointierte Eskapaden mündet. Doch auch als Solist brilliert Thomas Müller nicht weniger. Im F-Dur-Solo von Georg Benda spielt er das asketische Largo quasi wie ein Melodram, das – gleich einem Skelett – nur aus Notenknochen besteht. Ihm folgt das sozusagen muskelprotzende, sehnen- und bindegewebereiche Presto. Reich verziert und rhythmisch originell steigern ungewöhnlich platzierte Pausen die Spannung. Wilhelm Friedemann Bachs liedhaftes Lamento e-Moll ziseliert er als eine schmerzerfüllte Seelengravur. Als dann sogar noch auf der klangprächtigen Grüneberg-Orgel Vater Bachs Fantasie G-Dur BWV 572 erklingt, ist des barocken bis galanten Hörvergnügens die Krone aufgesetzt. Hellgetönt verbreiten die Diskantstimmen jenen klaren und prachtvollen Glanz, der auch das Organo-pleno-Spiel durchhörbar macht. Was lieblich begann, mündet in einer voluminösen, von durchdringenden Prinzipalstimmen bestimmten Pathetik. Die Künstler werden mit reichem Beifall verabschiedet. Peter Buske

Peter Buske

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