Kultur: Politischer Döner
Serdar Somuncu mit „Hitler Kebab“ im Lindenpark
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Serdar Somuncu mit „Hitler Kebab“ im Lindenpark „War das jetzt zu hart?“, vergewissert sich Serdar Somuncu mit schelmenhaftem Gesichtsausdruck. Jahrelang ist der in Istanbul gebürtige Schauspieler mit Hitlers „Mein Kampf“ und Goebbels'' Sportpalastrede auf Tour gegangen, um die wirren Gedankengänge der Nationalsozialisten wiederzugeben und entsprechend zu kommentieren. Seine Hitler-Immitationen sind strapaziert, aber nicht minder komisch. Immer wieder wird der Lindenpark Potsdam an diesem Abend Zeuge, wie Hitler Besitz von dem Kabarettisten ergreift. Sein Arm versteift sich zu abgehackter Gestik, das Gesicht verkrampft zu einer eisernen Maske und seine Stimme mutiert zum schnarzigen Brüllorgan. Geschickt balanciert sein Programm zwischen albernem Fäkalklamauk und anschaulichem Politkabarett. Er gröhlt, er kreischt, windet sich auf der Bühne wie ein Regenwurm, während er sich mit Wasser übergießt und Anekdoten aus seiner eigenen Kindheit ans Tageslicht zerrt. Das Publikum wohnt seinen emotionalen Eruptionen begeistert bei. Bereitwillig lassen sich die Zuschauer beleidigen und beklatschen das pseudo-schizophrene Gezappel auf der Bühne. „Ich schweife schnell ab“, stellt Somuncu selbstkritisch fest. Eigentlich soll es ja eine Lesung sein. Zu verlockend ist es anscheinend für ihn, in der einstudierten Hitler-Parodie sichere Lacher einzufahren. Gelesen wird zwischendurch trotzdem. „Getrennte Rechnungen“ heißt das neue Werk. Die ausgewählten Geschichten sind facetten- und abwechslungsreich, mal kindisch, mal mit überraschendem Tiefgang. Als Somuncu mit verbittertem Blick seinen ersten Schultag Revue passieren lässt, wird es still. Der Direktor teilt die Klassen ein. Nur Serdar und drei andere ausländische Mitschüler bleiben zurück. Sein Vater gerät in Rage ob der offensichtlichen Fremdenfeindlichkeit. Zu Hause malt Serdar dann Bilder mit seinen Wachsmalern. Doch Tränen machen das Gemalte bald unkenntlich. Ergriffen lauschen die bis dahin dauerkichernden Zuschauer. Für einen kurzen Moment hört man nur das leise Surren der Klimaanlage. Doch lange fährt Somuncu nicht auf der sentimentalen Schiene. Schon hat er im Publikum einen jungen Mann mit Dreadlocks ausgemacht, der natürlich gleich auf seine jamaikanische Herkunft geprüft werden muss. Und mit der Türkin – die er erst für eine Inderin hält – muss natürlich auch noch geflirtet werden, auf türkisch, versteht sich. Politische Aufklärung in seichten Gewässern, wechseln sich ab mit Skurillem aus der scheinbar unerschöpflichen Anekdoten-Kiste. Schmunzelnd beschreibt er das Entsetzen, das er seit September 2001 hervorruft, wenn er im Flugzeug nett nachfragt: „Dürft ich mal ins Cockpit?“ Wenn ein Zuschauer aufs Klo muss, kann er sich gewiss sein ein „Schnell zum Schniedelvergleich, wa?“ von der Bühne hinterhergebrüllt zu bekommen. Knapp unter der Gürtellinie spielt auch die Handlung seiner blumig-beschriebenen Geschichte „Die Schlange zwischen meinen Beinen“. In sehr metaphorischer Sprache teilt er dem Publikum die Erlebnisse seines Lieblingskörperteils mit. Zumindest Somuncu findet’s lustig und lacht selbst auch am meisten darüber. Eindringlich fordert Somuncu am Ende die „dringend nötige Dauerentnazifizierung Potsdams“. Natürlich ginge das nur mit dem Erwerb seiner gesammelten Werke. Und ach so: „Wer nichts kauft, ist ein Nazi“, gibt er dem Saal grinsend zu verstehen. Moment, war das zu hart? Christoph Henkel
Christoph Henkel
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