Kultur: Polyluxmalerei
Performance zur Ausstellung von Rayk Goetze und Chris Hinze im Persius-Speicher
Stand:
Wie sähe man wohl ohne die Fähigkeit zur Selbstironie? Nehmen wir eine Strandbar wie die „BeachSportsBar“ von Heiko Bengs in der Speicherstadt an der Leipziger Straße. Dort erwartete das Vernissagepublikum am Freitag eine „Performance mit Overheadpainting“ der Potsdamer Künstler Rayk Goetze und Chris Hinze.
Ohne über sich selbst und seine Schwächen lachen zu können, wäre so eine Strandbar nur eine Menge weißer Sand mit Topfpalmen darin, der dem Städter vormachen soll, weiter von sich und seinem urbanen Elend entfernt zu sein als er es tatsächlich ist. Ohne Selbstironie wäre die Potsdamer Kulturelite, die regelmäßig auf solche Veranstaltungen pilgert und hier in der Menge den Sandkörnern zahlenmäßig Konkurrenz machte, nur eine sich in Ausstellung um Ausstellung selbst inszenierende Kleinplanetenwelt, in sich einen stetigen Kampf zwischen unverhohlenem Neid und beruhigender Ablehnung austragend. Ohne jene Autonomie gewährende Ironie zu verstehen, wäre der Persiusspeicher hauptsächlich das Immobilienprojekt der Speicherstadt GmbH, die ihr Projekt der Ökostadt mit Geschick ins Gerede bringt; gewiss nicht ein für alle Anwesenden überwältigender, weil bislang unbekannter Ausstellungsort mit dem Gewinn bringenden Charme des Morbiden. Ohne vorausgesetzte Ironie freilich wären auch die Performance und die Kunstwerke der beiden Potsdamer, die in neo-realistischer Schule gehaltenen Gemälde Rayk Goetzes und die Engel und Wächterskulpturen Chris Hinzes, leicht als martialisch, zu formorientiert und auf Effekte setzend misszuverstehen.
Den Performance-Gast vor dem Tor des zinnenbewährten Speicherungetüms erwarten fünf Meter hohe Wächter Hinzes, deren spargeldünne Schatten in Rot die gesamte Höhe der imposanten Fassade einnehmen. DJ Seidemann lässt synthetische Wassertropfen dröhnen, zu denen Chris Hinze die Bühnenplatte betritt und seine Motorsäge in die Höhe stemmt. Sie startet mit Getöse. Motorsägen sind schon laut, doch Seidemanns synthetische Musik ist lauter. Hinze beginnt, den Boden unter seinen Füßen zu zersägen, während gleichzeitig Rayk Goetze seine Pinsel befeuchtet. „Overheadpainting“ klingt wesentlich aufregender als Polyluxmalerei. Auf dem analogen Spiegelprojektor, der früher in jeden Schulraum gehörte, malt Rayk Goetze im Takt zu Seidemann Elektrogezirpe mit schwarzer und brauner Tusche abstrakte Linien. Meistens Gezacktes und Eckiges, schließlich wird hier gesägt. Goetze spart den Schatten aus, den die Gestalt des Holzarbeiters Hinze an die schon mit Graffiti grundgeschmückte Speicherwand wirft. Der Umriss schwärzt sich langsam ein, mit feiner Feder wird geritzt, am Ende alles mit Wasser verwischt. Nächste Folie. Ziemlich sicher war ein großer Hasenkopf – ein Dürer Zitat? – zu erkennen.
Nach einer Tankpause für die Motorsäge, einem Spannung steigenden künstlerischen Boxenstopp, zerschneidet Hinze sein Triptychon in drei Teile. Ein Gesicht, eine Art Vogel und eine Frauenfigur. Fast achtlos wirft der Sägemeister die Platten in den Sand und räumt Resthölzer mit großer Geste beiseite. „OVER“, Schluss, schreibt Goetze dann auf das Glas, und malt dann noch „TÜRE“ dazu. Gemeint war die Speichertüre, durch die gleich die Vernissagebesucher treten werden. Zusammen aber auch „Overtüre“, Auftakt. Ein Wortspiel. Über den roten Teppich geht es also hinein in das Erdgeschoss des Speichers. Links Goetzes Ölgemälde, rechts die magersüchtigen Figuren aus Holz und Bronze von Hinze.
Was für ein Ausstellungsraum ist dieser historische Speicher! Dicke Trägerbalken halten die Decke. Die Wände in diesem schäbigen Schick aus abgebröckeltem Putz, den man anderenorts mittlerweile teuer kopieren muss. Die Werke beider Künstler sind stilistisch klar und reif. Sie hängen und stehen, wie für diesen unheimlich-unglaublichen Raum geschaffen. Goetze ist derzeit sehr angesagt, er hat gerade Günther Jauch für das Titelblatt der Augustausgabe des „Cicero“ porträtiert. Die Bilder kosten laut Liste beispielsweise „1,2 T €“, meist aber mehr. Hinze ist nicht günstiger. Für 17 000 Euro erhält man einen riesigen Bronze-Engel.
Eine wunderbare Kulisse, eine sehr sehenswerte Schau und ein einmaliger Abend. Vorausgesetzt, man vergaß nicht, auch ein bisschen über sich selbst zu lachen.
Matthias Hassenpflug
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