Kultur: Postdramatisch
Die „Lötkolben“ aus Prag erstmals bei Unidram
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Wer hat sie nicht, die schönen Erinnerungen an das gemächliche Zuckeln einer Vorortbahn, an das Quietschen beim Ein- und Abfahren der Züge aus den Bahnhöfen, wer hört nicht den Abschied im Pfeifen eines Zuges, den Abschied eines geliebten Menschen? Schon seit sie existiert, hat die Eisenbahn Vorstellungswelt und Gemüter der Menschen angespornt und zu Träumen von Freiheit, Abenteuer, Verantwortung gebracht. So bietet das Eisenbahnfeld unserer Fantasie eine schöne Weide, auf der jeder das finden kann, was er möchte.
Nun hat die tschechische Gruppe „Handa Gote“ in einer programmatisch „postdramatischen“ Performance das eigene Assoziationsfeld zügig abgegrast und es am Donnerstag bei Unidram erstmals einem deutschen Publikum vorgestellt. „Handa Gote“ bedeutet „Lötkolben“, und die Darsteller hatten Arbeitskleidung an: orangefarbene Signaljacken und rote Helme. Die Performance-Künstler vereinen einen Medien- und Stilmix aus Video, Choreographie, Musik und darstellender Kunst. In ihrer Nostalgie zur tschechischen Eisenbahn haben sich für die Performance „Trains – there is a Train Station in my Head“ die Künstler und Musiker Robert Smolík, Tomás Procházka und Leos Kropácek um die Videos von Jakub Hybler geschart. Dass die tschechische Eisenbahn zurzeit noch ein lebendes Museum sei, erzählten sie im anschließenden Gespräch.
Im Gegensatz zu den Nachbarländern mit der modernisierten Bahn könne man in Tschechien noch wie in den 50er Jahren das Zugfahren genießen, aber ach: auch da komme jetzt die Zeit des Ausverkaufs. Doch Handa Gote verhindert Erinnerungslücken: In einer ohrenbetäubenden Lärmfülle auf schwer vernebelter Bühne projizierten sie Bilder aus fahrenden Zügen, auf verrostende Details, auf Toilettensymbole und rotierende Fahrpläne. Darunter machten sie auch live Musik: zwei selbst gestaltete Eiseninstrumente dehnten die Saiten unter der heftigen Bearbeitung, dass sich die winzigen Schienen auf dem Bühnenboden fast bogen. Ein Dampfwasserkessel markierte die alte Lok, und ab ging es in ein völlig undramatisches Spektakel, das durch die häufigen Nebelschüsse auch nicht spannender wurde. Aber das ist eben postdramatisch, auch wenn sich mal ein Selbstmörder auf die Schienen legt, wieder aufsteht, um ein noch winzigeres Minidrama mit schräg wankenden Stabpuppen zu spielen. Schneit es? Nein, es schneit nicht, sagte da ein Minimann zum anderen, und prompt fäll Schnee von oben – alles zu sehen auf der Leinwand, da die Puppen viel zu klein waren, um sie mit bloßem Auge zu erkennen. Dem meist jungen Publikum gefiel die Vorstellung, vielleicht auch, weil vieles handgestrickt und ohne erkennbares Ziel einen sehr coolen, eben postdramatischen Charakter erhielt, der mit speziell tschechischer Nonchalance daherkam. Lore Bardens
Lore Bardens
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