
© Dreimeterturm
Kultur: Potsdam ist Ansichtssache
Am Donnerstag eröffnet die Ausstellung „Made in Potsdam“ mit Werken hier arbeitender Künstler
Stand:
Freundlich winkt der Engel vom Dach des Staudenhof herab. Er strahlt in der Sonne, das abgewetzte Grau des Staudenhofs setzt einen schönen, stumpfen Akzent dagegen. Eine typische Stadtansicht? Ja und nein. Klar, beide sind vertraut, genauso wie Fortuna und Fachhochschule (FH), tausendmal gesehen. Aber selten so vereint wie hier. Das Künstlerkollektiv Dreimeterturm hat für seine postkartenkleinen Fotos solche ungewöhnlichen Perspektiven eingenommen und so all die Bauwerke freundlich vereint, die sonst die Stadt spalten: Stadtschloss und Hotel Mercure, Staudenhof und Nikolaikirche, Rechenzentrum und Großes Militärwaisenhaus.
Die Postkarten legten Dreimeterturm in kleinen Chargen in Potsdamer Kneipen aus – eigentlich nur, um ihre Arbeit bekannt zu machen. Doch die vertraut-verwirrenden Fotos wurden schnell zu begehrten Sammlerobjekten unter den Kneipengängern, jetzt hängen sie in einer kleinen Nische im Kunstraum des Waschhaus. Dort eröffnet am morgigen Donnerstag das Festival und die gleichnamige Ausstellung „Made in Potsdam“, bis Mitte Februar wird es an der Schiffbauergasse zeitgenössischen Tanz, Performance, Musik und Kunst zu sehen geben – und Dreimeterturm stehen mit ihrer unaufgeregten Arbeit „Ansichtssache“ für das große Ganze der Ausstellung.
Denn Potsdam ist Ansichtssache. Das, was diese Stadt zusammenhält, ist die Vielfalt an Geschmäckern und Meinungen. Und Kunst wäre natürlich keine Kunst, wenn sie nicht das allgemeine Befinden, das sie umgibt, reflektiert. Deshalb passt dieses Festival-Konzept „Made in Potsdam“ so gut zu dieser Stadt. Hier entstanden– das ist tatsächlich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den Künstler hier kommen.
Deshalb hat die Ausstellung – sechs Künstler sind es dieses Jahr – auch im dritten Jahr des Festivals keinen übergeordneten Titel, kein großes Konzept, wie es bei Sammelausstellungen ja gerne konstruiert wird, um eine gedankliche Brücke zwischen den einzelnen Arbeiten zu bauen. Eigentlich aber reicht es doch, zu sagen: Schaut her. Das alles – und noch mehr – ist Potsdam.
Birgit Cauer etwa beschäftigt sich ebenfalls mit dem, was im ästhetischen Kampfgebiet zwischen Staudenhof, FH und Nikolaikirche geschieht. Oder besser: nicht geschieht. Wie fast überall in der Stadt, ja im ganzen Land, sei auch hier der Boden versiegelt, durch den Beton dringt zu wenig Wasser in die Erde. Und weil Birgit Cauer eine ist, die gerne in Kreisläufen denkt, in Systemen, die Natürliches und Künstliches verbinden, hat sie auch aus dieser Beobachtung ein System gebaut. Einen künstlichen Wasserkreislauf, der neues Leben schafft. Im Kunstraum steht eine lange Reihe alter Eimer auf einem Podest knapp unter der Decke. Allesamt voll Wasser und alle durch Schläuche mit kleinen Pflanztöpfchen auf dem Boden verbunden, in denen Kresse spießt. „Hier ist das eigentlich nur noch ein Zitat der eigentlichen Arbeit“, sagt Cauer, die das Werk für das Projekt „Faszination Fassade“ im vergangenen Sommer entwickelt und auch unter freiem Himmel aufgebaut hatte. Und zwar dort, wo zwischen 1978 und 2005 Christian Röhls Brunnen-Skulptur stand: zwischen FH und Staudenhof. Der Brunnen inspirierte sie, „das war ein wunderbarer Kreislauf und schaffte es, dass man sich an diesem Ort sofort gerne aufgehalten hat“.
Verstörender sind Frauke Danzers Arbeiten. Fleischfarben, an verstümmelte Gliedmaßen erinnernd, liegt ihre Skulpturengruppe „S-Mütter/surrogat mothers“ auf dem Boden. Ausgestopfte Frauenstrumpfhosen, von innen teils mit Drahtgeflecht verstärkt, sind diese Mütter, die Beine in schützendem Bogen über den weichen Bäuchen verschränken. „Ich habe dabei an Leihmütter gedacht, an diese für jede Mutter fast unvorstellbare Situation, etwas im Bauch zu tragen, was sie hinterher weggeben müssen.“ Leihmutterschaft ist in Deutschland zwar verboten, aber in Ländern, wo die Not der Menschen groß genug ist, finden auch deutsche Paare eine Frau, die ein Kind für sie austrägt. „Ich will das nicht verurteilen, nur zum Nachdenken anregen“, sagt Frauke Danzer. Aber es gebe eben auch Fälle wie den der thailändischen Leihmutter, die Zwillinge austrug. Als eines der Kinder mit dem Downsyndrom auf die Welt kam, nahmen die Eltern nur das gesunde Baby an. Das war ein extremer Fall, Danzer interessiert sich aber eher für das Hybride. „Ich will mit meinen Arbeiten Verständnis schaffen.“
Die Mütter sind nicht Danzers einzige Arbeit bei „Made in Potsdam“, sie hat auch noch ein Glashaus mitgebracht, in dem seltsame Wesen auf Zweigen sitzen. Menschliche Köpfe haben sie, aber Flügel und Klauen. Beängstigend irgendwie, aber auch verheißungsvoll. Schon immer wünschen sich Menschen, fliegen zu können. „Eine neue Spezies“, sagt Danzer. Noch ist sie unter Verschluss, im Glashaus, und es ist die Frage, die sich jeder Besucher selbst beantworten muss: Sollen wir sie überhaupt in die Freiheit entlassen? Wer sich dann umdreht, wird sehen, dass es schon zu spät ist.
Die Ausstellung „Made in Potsdam“ eröffnet am morgigen Donnerstag, 15. Januar, um 20.30 Uhr im Kunstraum des Waschhaus, Schiffbauergasse, und ist dann bis 15. Februar zu sehen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: