Kultur: Potsdam sucht einen Mörder
Jugendtheatergruppe adaptiert Filmklassiker
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Ein grausames Verbrechen ist geschehen, die ganze Stadt in Aufruhr. Machtlos die Polizei, verärgert gar die Zunft der Ganoven, weil sie ob deren Präsenz nicht mehr arbeiten kann: „Wo du hinspuckst, steht ein Grüner“, sagt einer von ihnen. Unerkannt indes geht der Mörder um, jeder könnte es sein, wirklich jeder. Nach einer Ideenvorlage von Fritz Lang dachte sich das bewährte Konzept- und Regie-Duo Ulrike Schlue und Nikki Bernstein samt der Jugendtheatergruppe „Mad Mix“ eine so ungewöhnliche wie vergnügliche Adaption des Filmklassikers „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931 aus.
Weil in dieser 75-minütigen Szenenfolge durchweg überzeugend mit Live-Musik, Toncollagen, mit Licht- und Schattenspielen sowie mit Projektionen gearbeitet wurde, darf man von einem multimedialen Ereignis sprechen, oder eben von einer „gespielten Projektion“, wie es im Untertitel heißt. Mit Vordergrund und Hintersinn erdacht, von einem vielköpfigen Ensemble auf ernste Weise spielerisch heiter verwirklicht, fand die Premiere der Verbrecherjagd am Freitag statt. Tatort: die „fabrik“. Es geht die Angst um in dieser Stadt, wo an allen Litfaßsäulen steht: „Der Mörder hat wieder zugeschlagen! Polizei tappt im Dunkeln“.
Da fallen die Bürger vor lauter Schrecken im wahrsten Sinne gleich reihenweise um. Herrlich dann die Slapstick-Szenen der Polizei, die dahergewatschelt kommt wie Entlein hinter ihrer Erpelin, ein Gaudi, wie man hier die dunkeltappende Ordnungsmacht durch allen Kakao dieser Welt zieht. Weil es also unmöglich ist, den Übeltäter auf reguläre Weise zu fangen, bringt sich die städtische Unterwelt ins Spiel. Auch hier die wieder wie hingeworfen wirkenden Off-Szenen, aber mit weniger individuellem Profil. Als laut atmender Schlagschatten an der Wand immer wieder der von allen gejagte Mörder, sein erbarmungswürdiges „Ich kann doch nichts dafüür!“ herauspressend.
Auch die ziemlich willkürlich in das Spiel hineingeratenen Landstreicher Wladimir und Estragon (Kasia Zasada, Hagen Hummel), eine kleine Leihgabe aus Becketts „Warten auf Godot“, beteiligen sich an der großen Verbrecherjagd. Bis sie gelingt. Wunderbar luftig dann die improvisiert wirkende Gerichtsverhandlung, wo man die Arme von Justitia nach Art einer Waage willkürlich beugt und hebt, die Zeugenschaft beugt, bis das Urteil „Tod!“ heißt. Dies wieder als Schattenspiel: Man sieht, wie sich die Zelle des Mörders von oben her immer mehr verkleinert, bis der Verurteilte sozusagen in der Unterwelt verschwunden ist.
Überall im schnell gemixten Szenengewühl trifft man auf die witzigsten Einfälle. Zum Beispiel hämmern Staatsanwaltschaft und Verteidigung in der grotesken Gerichtsszene mit langen Röhren wie Glockenschläger aufeinander ein. Allerdings wird dieser Stil zugunsten eines nur behaupteten „Realismus“ immer wieder zurückgenommen, es schien, als wollte sich der selbst gesetzte Anspruch „Welche Ordnung verteidigt die Polizei/Wer sind die Bürger/ Was treibt den Mörder um?“ allmählich verwischen. Etwas uneinheitlich also das Ganze, aber mit Feuer und Pfeffer gespielt, wirklich sehr hübsch. Drei Frauen bleiben zuletzt auf dem Off, sie wollen, und können nicht gehen, doch warum? Frenetisch, aber recht kurz der Premierenapplaus. Die Gründe wird man überdenken müssen. Gerold Paul
Gerold Paul
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