Kultur: Potsdam wird Theatermeister 2006
Erstes HOT-Fest in der Schiffbauergasse unter neuer Intendanz
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Erstes HOT-Fest in der Schiffbauergasse unter neuer Intendanz Ein Bild: der neue Intendant Uwe Eric Laufenberg spricht zur Eröffnung: „Noch 717 Tage, bis im Neubau Theater gespielt wird!“ Der Countdown läuft also. 2006 ist auch das Jahr, in dem wir Deutschen Weltmeister werden wollen, zunächst im Fußball. Der, der praktisch schon bewiesen hat, wie man das macht, ist der Klinsi. In ein paar Wochen hat er eine Gurkentruppe so motiviert, dass sie beinahe Brasilien geschlagen hätte. Alles ist möglich. Am Volleyballplatz, direkt am Wasser: der Intendant, noch in Hemd und Anzugweste. Er versucht zu baggern. Jemand aus seinem Team, das gegen Repräsentanten der Freien Träger an der Schiffbauergasse antreten soll, darunter Robi, der Grafiker des Waschhauses, der den Einladungsflyer für das Fest gestaltet hat und Sabine Chwalisz von der fabrik, sagt: „Ich weiß gar nicht, wie ein Ball funktioniert.“ Er spricht den anderen wohl aus der Seele. Martin Schmidt-Roßleben vom Sanierungsträger fungiert als Schiedsrichter. Man einigt sich schnell auf ein faires Unentschieden. Nächstes Bild, auf dem steinig staubigen Platz vor dem Waschhaus, Programmpunkt „Wer bin ich?“ Klassiker raten mit dem Intendanten. Uwe Eric Laufenberg wird von Schauspielern aus seiner neuen Truppe unterstützt. Passagen werden mehr vorgelesen als gespielt. Aber die Zuschauer wollen nicht so richtig mitraten. „Robespierre“, ruft dann doch zaghaft jemand eine richtige Antwort, „Dantons Tod!“ Als Preise winken Freikarten. Das Fest, sagt die Chefdramaturgin Anne-Sylvie König, ist low-budget“. Das ist nicht schlimm, denn gute Laune, eine Menge Gäste und Sonnenschein lässt sich sowieso nicht kaufen. An einem Stand gibt es Eierkuchen. Mit Ketchup ein Euro, mit Ketchup und Käse zwei Euro, mit Ketchup, Käse und Wurst drei Euro. Mehr los war beim Reibekuchen auf dem Platz vor Oracle, die Kinder wollten nur die. Der Koch gehörte zum Theater, auch spät am Abend beim Tanzen wollte er seine Kochmütze nicht ablegen. Extra für das Fest hat man einen Autorenwettbewerb veranstaltet. Junge Dramatiker sollten kurze Monologe schreiben, die zu den verschiedenen Spielorten auf dem Gelände und natürlich auch zu Potsdam passen. Der junge Schauspieler Henrik Schubert spielt den Monolog „Gustavs Stute“ von Nick Wood. Insgesamt dauert er zehn Minuten. Die ersten vier davon brüllt er verschiedene Varianten von „oh, Scheiße“. Für Kinder war das bis hierher kein Vorbild. Aber das ist modernes, frisches Theater. In den letzten sechs Minuten geht es um einen zur Untreue neigenden Kavalleristen, der sein Pferd töten mußte, nachdem es sich verletzt hatte. Das Stück ist gegen Gewalt und Krieg. Nächstes Bild: die Intendanz hat ihren Sitz in der Roten Villa. Hier soll in einem Raum direkt neben dem Büro von Eric Uwe Laufenberg eine Schiffbauergasse-Soap von den Besuchern fortgeschrieben werden. Einige Charaktere hat die Chefdramaturgin schon vorbestimmt. Die zweieinhalb Seiten, die am Ende herausgekommen sind, werden von einer Reihe von vergeblichen Selbstmordversuchen beherrscht. Immer wieder stürzt sich jemand vom Gasometer. Warum nur? Imposant der Blick, wie der Sonnenschein sich durch die Struktur der vielen orange-gelben Stützstreben bricht. Sie halten die Muscheldecke dort, wo später die Bühne sein wird. Der Architekt will einen Teil der Zichorienmühle abreißen lassen. Wenn man diese funktionslosen Muscheldecken weggelassen hätte, wäre das Ganze sicher billiger und man bräuchte nicht jetzt schon von dem Sydney an der Havel zu sprechen. Die Neugier auf die Präsentation des Spielplanes am Abend ist bei allen groß. Die Reithalle A ist gerammelt voll, die Sitze sind hart. Ein Bild: Uwe Eric Laufenberg erklärt dem Publikum das Stück Lina, eine Uraufführung, es handelt von der Günderode, einer romantischen Dichterin, die nicht alt wurde. Das Bühnenbild, ein Ruderboot, wird hineingewuchtet. Falschherum, findet der Intendant. Er ruft die Helfer zurück und faßt gleich mit an. In den zwei Stunden ist er in seiner Begeisterung über seine neue Spielzeit nicht zu bremsen, Ausschnitte aus beinahe allen Stücken, szenisch, als Lied, oder als Lesung. Ein Freund von Uwe Eric Laufenberg, der Sänger Jan Buchwald, trägt zum Ende zwei Lieder von Franz Schubert vor. Er ist ein ganz großer, heißt es. Die Jugendlichen nebenan halten das Warten nicht nicht mehr aus. Sie tuscheln in den herzergreifenden Vortrag. Plötzlich steht das ganze Ensemble auf der Bühne, es hat Liedzettel verteilt: „Völker hört die Signale ... die Internationale...“ Theater soll mutig sein und auch mal provozieren. Hier war es allerdings nur ein Hinweis auf „Himmelsleiter“, sagt zumindest der Intendant. Schlußbild: endlich das versprochene Feuerwerk, Marke Sparfuchs. Auf dem Gasometer und der Zichorienmühle sprüht eine Reihe Vulkane, bunte Luftballons erheben sich in den Nachhimmel. Auch dafür gibt es fröhlichen Applaus. Erhöht auf dem Dach eines Schuppens steht Uwe Eric Laufenberg mit einer brennenden Fackel in der Hand. Die nächste Olympiade ist 2008 in Peking. Was hat er vor? Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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