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Kultur: Potsdams neue Luftschlösser

Kunstschule mit anregend-bedenkenswerten Vorschlägen zum Stadtschloss

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Kunstschule mit anregend-bedenkenswerten Vorschlägen zum Stadtschloss Von Götz J. Pfeiffer Mehr Stadtschloss war nie! Vom 1960/61 abgeräumten Bau der Preußen-Könige einmal abgesehen. Die Politik, die Prominenz und selbst die Medien jubeln: Potsdams so genannte historische Mitte bekomme endlich neue Kleider. Jetzt auch noch eine Ausstellung zum Thema in der Kunstschule? „Mitnahmegewinne“ könnten übelmeinende, börsianisch bewanderte Kritiker unken. „Punktlandung“, freut man sich derweil in der Kunstschule. Denn die Ausstellung, deren Objekt zu einem der allgemeinen Begierde geworden ist, hatte man bereits im Herbst letzten Jahres konzipiert. Seitdem entwarfen und werkelten die Kinder-, Jugend- und Erwachsenenkurse in den Werkstätten im Kulturhaus Babelsberg. Und ohne Ruinen ist Preußens ehemals Stein gewordener Glanz und Gloria auferstanden: auf Papier und aus Pappmaché, in Modellen und Tonplastiken, in abstrakten Entwürfen, collagierten Fotos und zuweilen in recht freier Erfindung. Heutige Baumeister hören nicht auf wohlklingende Namen wie Schlüter oder von Knobelsdorff, Boumann oder Jean de Bodt, letzterer Erbauer des bereits wiedererrichteten Fortuna-Portals. Anton Hoffmann, Christoph Kahl und Konrad Waldmann aus einem Mal- und Zeichenkurs für Kinder haben sich zu einer gemalten Gemeinschaftsarbeit zusammengefunden. Ihre Ansicht vom Alten Markt in historischem Gewand mit rekonstruierten Häusern an der gleichnamigen Straße bildet den starkfarbigen Hintergrund für zwei ihrer fantasievollen Turmbauten, deren bunter Anstrich an Hundertwasser erinnert. Konkreter schon, was sich Kira Stockhausen für den jetzt reichlich öden Platz zwischen Nikolaikirche und Alter Fahrt vorgestellt hat. Mit ihrem silbern-goldenen Pappmaché-Relief über fotokopierter Marktkulisse wünscht sie „Einen Brunnen wie in Italien“. Wunderbar! Warum keine Fontana di Trevi errichten? An der Babelsberger Filmhochschule würde sich gewiss ein neuer Fellini finden, der seine Anita Ekberg dann in havelländischen Fluten badet, um der Welt das neue, das brandenburgische Dolce Vita vor Augen zu führen. Oder doch lieber Ilona Kluckerts Vorschlag aus dem Seniorenkurs? In den südlichen Haupttrakt des wiedererrichteten Schlosses hat sie eine rote Pyramide gestellt. Die Unterstützer einer Kunsthalle für Potsdam wird freuen, dass die Collage „Der Louvre von Potsdam“ unterschrieben ist. Es ist die thematische Breite der Vorschläge wie auch der insgesamt spielerische Umgang mit dem geschichtsträchtigen und politisierten Stadtschloss, der die ausgestellten Arbeiten sehenswert erscheinen lässt. Sehr wahrscheinlich wird der „Landeplatz für Marsmännchen“ mit einer Diskothek im Alten Rathaus des achtjährigen Valentin Jauch – ohne Beziehung zum TV-Jauch – nicht verwirklicht werden. Aber ist die Idee dahinter nicht bedenkenswert? Am Platz des ehemaligen Schlosses einen Anziehungspunkt entstehen zu lassen, den selbst Extraterristische aufsuchen. Und natürlich werden auch die Entwürfe für figurative und abstrakte Skulpturen von Gertrud Klug und Renate Karstädt, von Carola Krause und Claudia Böhm aus dem Erwachsenen-Kurs nicht zur Realisierung gelangen. Aber warum nicht an historischem Platz der neuen Kunst einen Ort schenken? Zumindest bedenken sollten künftige Bauherren auch, was die Klassen 1-3 der Montessori-Gesamtschule in Modellen unter der Überschrift „Visionen für die Nutzung eines freien Platzes“ zusammengetragen haben: eine Bibliothek, ein Restaurant und ein Museum, alles für Kinder, einen Fußballplatz und eine Schwimmhalle, ein Bildermuseum und eine Achterbahn. All dieses scheint den Kindern in Potsdam zu fehlen. Sie werden übernehmen – und finanzieren – müssen, was ihre Eltern errichten. Sei es ein Erfolg, sei es Stein gewordene Sünde. Am einfachsten wäre eine Nutzung des nicht einmal entworfenen Schlossneubaus aber wohl nach dem selbst bewussten Wunsch, mit der wahrscheinlich alle in der Kunstschule zufrieden wären. Die Ausstellung ist überschrieben „Statt Schloss“ – „Kunstschule Potsdam“ kann man auf der Einladungskarte nach einem 90 Pozent-Schwenk der Schrift weiter lesen. Das habe man nicht gewollt, beteuert Geschäftsführerin Thea Moritz. Aber doch – Freud lässt grüßen – hoffentlich gewünscht. Bis 26. August in der Kunstschule Potsdam e.V. im Kulturhaus Babelsberg, Karl-Liebknecht-Str. 135. Mo 9-19 Uhr, Di-So 10-18 Uhr.

Götz J. Pfeiffer

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