Eröffnung der Tanztage in Potsdam: „Präzision ist Freiheit“
Die israelische Choreografin Sharon Eyal eröffnet mit „Sara“ und „Killer Pigs“ die Tanztage
Stand:
Frau Eyal, Sie eröffnen die Tanztage in diesem Jahr – mit gleich zwei Ihrer Produktionen, „Sara“ und „Killer Pig“. Wie korrespondieren die beiden Stücke?
Gar nicht. Zumindest nicht, was die Story betrifft. Aber es gibt eine Verbindung auf der Ebene der Atmosphäre. Es ist ein wenig wie innerhalb und außerhalb ein und derselben Form zu sein. Wenn man innen herausblickt, sieht man etwas ganz anderes, als wenn man von außen hereinblickt. Es herrscht ein anderes Licht.
Können Sie diese Welten Ihrer Stücke ein wenig beschreiben?
In „Sara“ ist das eine sehr intime Welt, ein wenig wie eine kleine Perle in einer Box, ein Schatz, der nach Vergangenem duftet und der zugleich etwas Neues verheißt. Eine Schatzkiste, die man nicht zu weit öffnen darf, weil der Liebreiz sonst verschwindet, die Magie sonst verhaucht. Ein wenig so, als würde man ein Stück aus Puder bauen. Es geht darin um das Fragile, Traurigkeit, Einsamkeit. „Killer Pigs“ hingegen ist tatsächlich ein Stück über das Tanzen, es geht um die Leidenschaft fürs Tanzen. Um bestimmte Stimmungen, Atmosphären – von primitiv bis elegant. Alle Elemente existieren in beiden Stücken – aber eben auf verschiedenen Art und Weise.
Anders als in vielen modernen oder zeitgenössischen Stücken bewegen sich Ihre Tänzer extrem präzise und bedingungslos synchron, scheint es. Fast wie im klassischen Ballett.
Nun, ich liebe klassisches Ballett. Und ganz grundsätzlich: Ich weiß gar nicht, was moderner Tanz sein soll, ich liebe Ballett, ich liebe Präzision und pures Gefühl. Ich arbeite viel über meine Intuition, das kommt alles aus meinem Inneren. Es geht in meinen Stücken viel um Geschmack, um Atmosphäre, um die richtige Richtung im richtigen Moment.
Welche Aspekte bringt Ihr Freund und künstlerischer Partner, Gai Behar, da mit hinein?
Wir arbeiten sehr eng zusammen, er bringt da aber natürlich neue Blickwinkel, neue Ideen mit. Aber es geht letztlich immer um Präzision.
Warum?
Weil ich in der Präzision die größtmögliche Freiheit finde – und ich die Freiheit mehr als alles liebe. Aber ich will sie aus etwas Echtem heraus schaffen, nicht aus einer Freiheit um der Freiheit willen.
Das enge Korsett der Präzision schafft Freiheit?
Klar, man kann innerhalb eines System so weit kommen. Mit einem System schafft man es bis zum Himmel, und von dort zum nächsten Himmel. Dafür aber braucht es Struktur.
Jemand schrieb mal über Ihre Arbeit, sie sei deshalb so gut, weil Sie immer ganz genau wüssten, was Sie sagen wollen. Was wollen Sie mit Ihren Stücken sagen?
Ich denke nicht, dass ich genau weiß, was ich sagen will. Ich habe sehr starke Gefühle, eine sehr ausgeprägte Intuition. Und ich möchte bestimmte Dinge mit den Menschen teilen, Träume, Illusionen, die für einen Augenblick lang wahr werden. Empfindungen, die man zusammen erleben kann. Aber meine Arbeiten sind „open source“, also quelloffen: Die Zuschauer sind frei in ihrer Imagination, sie können an einen anderen Ort fliegen, sie müssen sich nicht mit etwas Spezifischem verbinden.
Also keine politische Agenda?
Überhaupt nicht. Ich bin ganz schlecht, was Politik angeht, ich weiß zu wenig darüber.
Sie haben sich aber auch formal keiner bestimmten Tanzschule verschrieben, keinem bestimmten Stil.
Nein. Wie gesagt, ich liebe Ballett, ich liebe das Altmodische, auch viel Modernes. Ich liebe eine Menge Dinge, aber ich will mich nichts ganz verschreiben, nein.
Es ist das erstes Mal, dass Sie in Potsdam auftreten – und gleich mit dem Eröffnungsstück. Haben Sie die beiden Stücke aus einem bestimmten Grund aus Ihrem Repertoire gewählt?
Ich denke, sie ergeben einfach einen guten Abend. Es fühlte sich richtig an, nach dem richtigen Moment. Aber ich hätte sicher auch etwas anderes wählen können.
Ihr Partner Gai Behar ist Techno-DJ aus Tel Aviv. Welche Rolle spielt die Musik in Ihren gemeinsamen Stücken?
Einen großen Anteil natürlich, Gai Behar ist ein großartiger Musiker, wir entwickeln viele Details zusammen.
Arbeiten Sie gerade an etwas Neuem?
Ja, und tatsächlich wird es in dem neuen Stück auch eine Story geben. Das fragen mich die Leute ja immer: Was ist die Geschichte deines Stücks? Es wird sich ums Vermissen drehen, um Menschen, die man vermisst, Dinge, Ideen. Es gibt ja etwa dieses Phänomen, mit jemandem im selben Bett zu schlafen – und trotzdem das Gefühl zu haben, niemals in derselben Zeit zu sein. Immer nah beieinander, aber ohne sich je wirklich zu begegnen. Ein sehr dunkles Stück, aber mit süßen Momenten, die nicht ganz so dunkel sind.
Das Gespräch führte Ariane Lemme
ZUR PERSON: Sharon Eyal, geboren 1971 in Jerusalem, tanzte 20 Jahre mit der israelischen Batsheva Dance Company, seit zwei Jahren leitet sie die Gruppe „L-E-V“, was auf Hebräisch Herz bedeutet.
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