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„Stolz und Vorteil* (*oder so)„ ist im Hans Otto Theater ein quietschbuntes Musical mit Charlott Lehmann, Franziska Melzer, Laura Maria Hänsel (v.l.).

© HOT/Thomas M. Jauk

Premiere im Hans Otto Theater: Schimmel, Pimmel, Palme

Ein Klassiker in neuem Gewand: „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ wird zum 80er-Jahre-Musical: Bonnie Tyler singt, Jane Austen rotiert im Grab, der Saal tobt.

Von Oliver Köhler

Stand:

Über allem schwebt die Frage: Muss das eigentlich sein? Immerhin hat der Roman "Stolz und Vorurteil" längst die 200-Jahre-Marke geknackt, 1813 erschien das Stück der englischen Autorin Jane Austen, das sowohl ein Standbild des britischen Adels als auch eine romantische Hommage an die Kraft der Liebe war - und mittlerweile dementsprechend feministisch interpretiert wird.

Die Erzählung über Elizabeth Bennet und Fitzwilliam Darcy, die am Ende eines kurios-wendungsreichen Entwicklungsromanes zueinanderfinden, bettelt ja förmlich nach Interpretationen. Colin Firth als Mr. Darcy etwa, oder Keira Knightley als Elizabeth, die Filmgeschichte quillt über davon.

Eine schrille Seifenoper mit 80er-Jahre-Musik

Die schottische Autorin Isobel McArthur hat sich dieser eigentlich zutiefst britischen Erzählung angenommen und sie 2018 erstmals - verbunden mit der Ergänzung „sort of“, also: „sozusagen“ - als Musical auf die Bühne gebracht. nNun fand die Premiere ihres Stückes unter der Regie von Moritz Peters statt, der zuletzt schon die Online-Komödie „Der Vorname“ und den schonungslosen Ehekrach „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ rasant inszenierte. Es sollte also nichts Weniger als der nächste Kracher der Spielzeit gewuppt werden.

1813
veröffentliche Autorin Jane Austen ihren Klassiker.

Immerhin: Ein Kracher ist es geworden, keine Frage. Wie die fünf HOT-Schauspielerinnen Franziska Melzer, Charlott Lehmann, Kristin Muthwill, Laura Maria Hänsel und Nadine Nollau diesen fast vierstündigen Abend runterrocken, ist einfach wunderbar mitreißend. Und um die Frage vom Anfang zu beantworten: Ja, das muss sein. Dieses unfassbar soziohistorisch verstaubte Sujet schreit geradezu nach einer Adaption ins Heute, und am Ende quillt daraus wie am Freitagabend eben eine schrille Seifenoper hervor.

Erzählt wird die Geschichte der alten Mrs. Bennet, die zu Zeiten der britischen Regency Anfang des 19. Jahrhunderts zur „Gentry“ gehört, dem niedrigen Adel. Wenigstens eine ihrer fünf Töchter muss sie unter die Haube bringen - in diesem patriarchalischen System kann der zumeist üppige Besitz nur an Männer weitervererbt werden. Aschenputtel findet natürlich den Prinzen, aber vorher muss dieser geläutert werden - worauf der Titel ja anspielt. McArthur lässt die Erzählung aus der Perspektive von fünf Dienstmädchen erzählen, die kurzerhand in die Rolle der jeweiligen Person schlüpfen.

Und das gleichzeitig. Die Inszenierung bezieht ihre Beschleunigung aus den straffen Dialogen und den permanenten Wechseln. Dabei finden diese direkt auf der Bühne (Nehle Balkhausen und Arianna Fantin) statt: Zunächst tanzen die fünf in weißen, knappen Klamotten und einer Art Badekappe, dazu läuft „Owner of a Lonely Heart“ von Yes aus dem Jahr 1983.

Die karge und für diese Inszenierung deutlich zu große Bühne wird durch einen wuchtigen blauen Vorhang geteilt, dazu kommen allerlei weiße Requisiten zum Einsatz, die reichlich überdimensioniert wirken: ein weißes Pferd, eine Palme, eine Badewanne. Und ein gigantischer, geschwungener, erigierter Schwengel, der den weder präsenten noch redenden Vater personifizieren soll. Schimmel, Pimmel, Palme - uff! Doch keine Angst, auch der Phallus wird sich im Zaum halten.

Weiße Requisiten und ein wuchtiger blauer Vorhang - davor die Schauspielerinnen: Charlott Lehmann, Franziska Melzer, Kristin Muthwill, Laura Maria Hänsel.

© HOT/ Thomas M. Jauk

Aber ja, letztlich ist es ein Musical: Gibt es im Original noch eigene karaoketaugliche Songs, ersetzte der musikalische Leiter Fabian Kuss den Soundtrack (den es auch als Playlist auf Spotify gibt) kurzerhand durch ein Potpourri aus - zugegeben heillos trashigen - 80er-Jahre-Pop-Hits, die in ihrer schmalzig-virtuosen Eingängigkeit und der hoffnungslos romantischen Lyrik einen Kontrapunkt zur hektischen Inszenierung setzen. Gut, man kennt die Originalmusik nicht, aber letztlich wirkte diese Festlegung wie eine poppige Retrospektive, bei der mal wieder herzhaft im Takt geklatscht werden konnte.

Dabei war die Band wirklich großartig: Wie 80er-Epigonen mit Föhnfrisur und schlecht sitzenden Anzügen gammelte sie links und rechts an den Bühnenrand gedrängt durch das Stück, nur um sich zum Einsatz widerwillig die Instrumente umzuschnallen und zwischendurch gelangweilt Kippenattrappen zu paffen.

Dass der fetzige Abend nicht vollends überzeugt, mag zum Einen an der belanglos-ohrwurmigen Begleitmusik liegen, vielleicht auch an der gähnend-großen Bühne oder an einigen vermeidbaren Längen: Eine familiärere Inszenierung in der Reithalle hätte dem Stück sicherlich noch mal einen heftigeren Drive verpasst - doch rettet die schmissige Inszenierung dank ihrer mitreißenden Schauspielerinnen letztlich den Abend.

Ganz hinterhergekommen war man dem Galopp zwar spätestens nach einer Stunde schon nicht mehr, ist auch egal, zu lachen gab es genug, dazu den ein oder anderen Ohrwurm von Bonnie Tyler oder Fleetwood Mac für den Nachhauseweg. Und die profunde Bedeutung wird es wohl schon 1813 nicht gegeben haben.

"Stolz und Vorurteil* (*oder so)", nächste Vorstellung am Donnerstag, 8. Dezember, um 19:30 Uhr. Karten ab 14,50 Euro unter www.hansottotheater.de

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