Kultur: „Princess“
Erika Stucky bei „The Voice in Concert“ im Nikolaisaal
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An Märchen, in denen Prinzen wachgeküsst werden, glaubt die amerikanisch-schweizerische Jazzsängerin Erika Stucky nicht. Aufgewachsen im Flower-Power von San Francisco ist sie nicht der Typ für die Träume von Prinzessinnen. Dazu ist Stucky viel zu „verrückt“. Möglicherweise hat sie ihre CD und ihr Programm deshalb „Princess“ genannt. Weil sie als Mädchen und Frau von gläsernen Schuhen und galanten Huldigungen schwärmte, und merken musste, dass sie diese Rolle gar nicht ernsthaft annehmen konnte. Brav sein, dass liegt ihr nicht.
Geigenteppiche und Schmachtmelodien passten eigentlich so gut zu Stuckys Stimme wie Schneewittchen zu den Sieben Zwergen. Stucky hingegen wählt gleich zwei Bassinstrumente als Begleitung. Eine Posaune, und als ob das nicht tief genug wäre, auch noch eine Tuba. Der Ochsenfrosch unter den Bläsern. Daran kann nur der Kulturschock Schuld sein, den Erika Stucky erlitt, als sie mit neun Jahren aus dem Wilden Westen der USA in ein Schweizer Bergdorf zog.
Die Stühle im Foyer des Nikolaisaals stehen dicht gedrängt vor der Bühne wie ein gut bestücktes Osternest. Posaunist Bertl Müller legt mit dem Tubisten Jon Sass ein weiches, groovendes Fundament, von Stucky ist noch nichts zu sehen. Geschirr klirrt, Geschwätz, ein irrer Monolog-Singsang erklingt von weit hinten, dann hört man in der Ferne Besteck auf den Boden schlagen. Erika Stucky hat mit dem Froschkönig essen müssen. Als sie die Bühne betritt, drückt sie widerwillig der imaginierten Kröte in der Hand einen Kuss auf. Ein solche Verwandlung von Hässlichem in Schönheit durch die einfachsten Mittel, den herzlichen Ausdruck und das leidenschaftliche Gefühl, das ist Stuckys Prinzessinnengeheimnis. Ihre wunderschöne, starke Stimme kann aus musikalischen Allerweltsfröschen edle Prinzen zaubern. Sie klingt ein wenig nach Aretha Franklin und Sinead O´Connor. Furchtlos wäre sie und unverwundbar, heißt es in ihrer lieblichen Prinzessinnen-Suite zu Anfang. Das ist die eine Seite von Stucky, die mit einem königlichen Knicks beendet wird. Die andere ist das Krötige, das ist der unzüchtige, laute, rockige, sich die Innereien herausscattende Prinz. Der kann jederzeit erweckt werden. „Ihr glaubt vielleicht, es ist ein Schweizer Vodoo-Ding“, sagt Stucky zu dem, was noch folgen soll, und beschwichtigt: „Glaubt mir, ich weiß, was ich tue“.
Eine ruhige Ballade wie „Sometimes it snows in April“ von Prince wird von Stuckys Methode freigeholzt vom Dornengestrüpp des Originals, der 90er Jahre Orchestrierung und des falschen Bombasts. Tuba und Posaune? Sie sind zu Leichtfüßigkeit verzaubert. Stucky minimiert auf das Wesentliche und verschenkt es an ihr Publikum. Eine wahrlich royale Geste. Andererseits kann sich die Sängerin den Vereinnahmungen des Volkes entziehen, wann immer es ihr beliebt. Dann brüllt sie mit ihrer so tausendseitigen Stimme ihrem Vorbild Muhammed Ali nach: „Ich bin schön, ihr seid hässlich“. Da ist die Kröte, die geschluckt werden muss, um die Schönheit erträglich zu machen.
Stuckys einnehmende Kunst ist, mit lachendem Herzen aus Pop-Fröschen wie Britney Spears „Hit me Baby one more Time“ oder „Roxanne“ von Police in eine Märchenlandschaft zu entführen, die frei ist von Rosenbetten, von Daunenfedern und Prinzen mit falschen Versprechungen. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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