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Kultur: „Prisma Potsdam“

Schreibwerk legte erste Edition vor

Stand:

Weiße Papiertütenkerzen geleiten ins Luisenforum. Und weiter ins Schreibwerk, wo es nicht annähernd so romantisch zugeht. Eher kühl und sachlich. Unter grellen Spotlichtern: der Veranstaltungs- und Arbeitsraum von Hanne Landbeck, Autorin, Journalistin und Dozentin für Kreatives Schreiben. Zögerlich füllt sich der Raum. Aufgestapelt und käuflich zu erwerben ist das erste Buch der edition schreibwerk „Prisma Potsdam“, das durch die Unterstützung des Europäischen Sozialwerks soeben herausgegeben werden konnte. Ein schmales Bändchen mit guten Schwarz-Weiß-Fotografien von Roger Drescher. „Neue Heimatgeschichten“ ist der Untertitel des Buches, in dem zehn Autoren aus unterschiedlicher Sprachheimat zu Wort kommen.

Für Abdel Kader Barounga aus Kamerun ist es ein erster befremdlicher Blick aus der Straßenbahn auf eine Stadt, die erst Heimat werden soll. In der er auf Abwertung, Feindseligkeit und hübsche Mädchen trifft. Die er poetisch und sachkundig beschreibt: „Ihre Schönheit gehorchte dem Gesetz der Dreieinigkeit, das meinem Onkel so heilig war. Der Dreieinigkeit der Form, der Farbe und des Charakters. Ihr runder delikater Kopf saß auf einem Hals, der die Eleganz einer Giraffe besaß. Dieser Hals, der die Verbindung zwischen Kopf und Körper aufs herrlichste vornahm, war so lang wie der eines Reihers. Ihre provozierende Brust erinnerte mit beiden Höckern an ein Dromedar.“ Die ungewöhnliche Bewunderung erringt Erfolg. Der freundliche Blick des Mädchens ist der erste Willkommensgruß für Abdel in der fremden Stadt. Baroungas origineller Vortrag gerät an diesem Abend nur kurz, da der Urtext in französischer Sprache ist.

„Walters Welt“ von Jörg Hafemeister ist eine eng bemessene. Die Welt des Babelsberger Klubhauses Lindenpark. Die Walter täglich mit „ausgelatschten Schlappen“ durchmisst. Mit Promis und Nichtpromis billiges Bier trinkt. „Sooo glücklich ist“. Und sich glücklich zu Tode stürzt. Eine Alltagsgeschichte, die knapp und humorvoll pointiert erzählt wird, aber sprachlich keine Meriten aufweisen kann.

Matthias Hassenpflugs Geschichte vom „Brückensprung“ beschreibt das trostlose Büroleben zweier Angestellter eines Institutes, die sich zu Größerem berufen fühlen. Da nichts Geeignetes am Horizont aufzudämmern scheint, muss der Brückensprung als Kickersatz herhalten. Und als Ersatz für Sex mit „Gundi, Anne, Simone und Micha.“ In der Regel springen sie von der Glienicker Brücke. Aber einmal muss es auch die Humboldtbrücke sein. Von diesem Sprung taucht Herr Valentin nicht mehr auf. Eine kryptisch erzählte Geschichte, die ohne umgangssprachliche Klischees Literarizität aufweisen könnte.

Etwas brav erzählt Ralph Kasperczyk in „Ankommen ist wichtig“ – eine Reminiszenz an die 80er Jahre in Potsdam – die Geschichte einer Familienfahrt, bei der der Vater an den bröckelnden Fassaden bemängelt: „Hier müsste aber mal was gemacht werden.“ Als man nach langer Stadtbesichtigung endlich zur Abkühlung im Neuen Garten auf eine Badestelle trifft, erkennt der Ich-Erzähler mit Entsetzen, dass hier nackt gebadet wird. Was neben barocken Putten und Säulen grotesk erscheint, und dem Pubertierenden größte Pein verursacht. Nur der Vater schläft nach absolviertem Nacktbad glücklich in der Hoffnung ein, die geplante Aufklärungsrede für den Sohn nun einzusparen.

Bei Jude Massango verschmelzen in der Erzählung „Potsdam Nord“ ein wenig zu vordergründig konstruiert die traumatischen Erlebnisse auf „der Bananenplantage der Cameron Development Cooperation unter den Chemiekeulen sprühenden Helikoptern“ mit den „nadelscharfen Winden“, die ihm in der neuen kalten Heimat entgegenschlagen. Auch die junge Frau auf dem Fahrrad könnte eine „C.D.C. Arbeiterin sein, die Gummi schält“, stellt der Erzähler fest. Der faulige Geruch der Potsdamer Kläranlage ruft Erinnerungen an die Ausdünstungen der „Müllhalden in Madagaskar wach, in denen Kinder den Großteil ihrer Tage in der Hoffnung wühlen, etwas Brauchbares zu finden“.

Das mit viel Engagement geführte soziokulturelle Projekt, das vom Ziel des gemeinsamen Lernens, der Integration und der Gemeinschaftsbildung intendiert wurde, ließ Texte von sehr unterschiedlicher Qualität entstehen, die Poetisches durchschimmern lassen.

Barbara Wiesener

Barbara Wiesener

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