Kultur: Projektionen
Solonummern von Havarie Light im T-Werk
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Solo und ganz allein zu sein, trifft das Lebensgefühl von vielen. Es ist ein Zeitphänomen, das nicht nur Jugendliche kennen. „Mein zweiter Name ist planlos“ stellt sich Hannah am Freitag dem Premierenpublikum im hoffnungslos überfüllten T-Werk vor, und spricht damit durchaus auch die Älteren an.
Orientierungslos wie ein einsamer Planet im Orbit kreist Hannah durch ihr Leben, wie die fünf Paravents, die als einzige Requisiten die Bühne wie auch das Geschehen strukturieren. Wie von Geisterhand formieren sie sich ständig neu. In eine undurchdringliche Wand, dann einen Durchgang, oder eine Tür. Sie sind auch der Schirm, an dem erst ein Schatten entsteht, dann eine Figur erkennbar wird, hinter der sich schließlich ein Mensch mit Geschichte verbirgt. Auf den richtigen Winkel kommt es an, in dem das Licht einfällt.
Das von Yasmina Ouakidi geschriebene und inszenierte Stück ist oberflächlich ein Jedermann-Schauspiel. Graue Alltagsprobleme. Liebe und Indentitätssuche in ihrer Gewöhnlichkeit. Es sind Kunstgriffe wie der allegorische Einsatz dieser wenigen, rollenden Stoffschirme, die aus dem Stumpfen mit geringem Aufwand letztlich doch etwas glänzend Lyrisches werden lassen.
Hannah glaubt in Tillmann die Lösung ihrer Probleme gefunden zu haben. Doch fort ist er plötzlich! Mit ihren zwei tatkräftigen Freundinnen, Andrea und Britt (Christin Engelbrecht und Caroline Hache), macht sie sich daran, das Leben ihres Heilsbringers zu rekonstruieren. Die Paravents werden zu Röntgenschirmen, von Christian Meerstedt ins rechte Licht gerückt, und alles erscheint auf ihnen abgebildet plötzlich ganz anders. Klischees und voreilige Meinungen werden nun am laufenden Band dekonstruiert. Tillmann ist natürlich nicht der Mistkerl, für den alle ihn halten sollten. Wobei dieser Titel noch der harmloseste im Text ist, der ganz nah an der Sprache der Jugendlichen sein will.
Auch Tilmanns angebliche Verflossene, die wie Delinquenten in Rambomanier von Andrea und Britt verhört werden, offenbaren nur ihre Verletzlichkeit.
Laura Sophie Wizila spielt mit schönem Humor die Nancy, die dem armen Pizzaboten Tillmann einreden will, ein Selbstmörder zu sein. Ihre Sehnsucht gehört der Scheinwelt aus der TV-Soap „Das echte Leben“. Die Frisöse Bianca (Jona Esther Schapira) fühlt sich permanent als „Fehler im Bild“, und Silke sucht ihre Identität und ihren Vater. Unter den vielen Offenbarungen und Geständnissen ragen die der Sonja heraus. Anne Welenc verkörpert jene fast alt-berlinernde Göre mit permanentem mir-mich-Fehler, als habe sie die Rolle zur eigenen Persönlichkeit gemacht. Ihre Sonja zeigt als einzige in diesem sehr mädchenlastigen Stück, dass eine gute Portion Selbstbewußtsein wichtig ist, wenn man die Antwort auf große Lebensfragen sucht. Sie lässt am Ende überraschend von Tillmann ab, den Michel Wagenschütz mit allen nötigen mimischen Facetten ausstattet, um den völlig zwischen den weiblichen Wunschträumen aufgeriebenen jungen Mann darzustellen.
Julia Maria Zimmermann reift mit ihrer Rolle als Hannah einfühlsam von der Unsicherheit einer Jugendlichen zur Gelassenheit einer erwachsener gewordenen jungen Frau: „Wir sind nicht immer das, was gesucht wird, aber manchmal ist das besser, als das, was gesucht wurde.“ Eine Schlussphilosophie und eine handfeste Lehre, die Hannah da an ihr alsbald in starken Applaus fallendes Publikum weitergibt. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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