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Zartbesaitete Schweden: Friska Viljor im Lindenpark.

© dpa

Friska Viljor im Lindenpark: Psst, bitte leise!

Tragisch, zart, pathetisch: Die Schweden Friska Viljor spielten am Dienstagabend im Lindenpark.

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Was ist eigentlich der Unterschied zwischen tragisch-radiotauglichem Indiepop und gut gemachter Musik? Schwierig zu beantworten, aber eigentlich nur ein im Praxistest zu lösendes Problem. Friska Viljor sind so ein Beispiel dafür: theatralisch-tragisch, geballte Melancholie. Erst recht wenn man eine Begleitung hat, die das Konzert mit bedeutungsvollem Blick und dem Satz „Spätestens bei Shotgun Sister kriegst du definitiv Pipi in die Augen“ vorbereitete. Aber nein, Tränen gab es nicht.

Friska Viljor, die genauso schwedisch aussehen, wie der Bandname suggeriert, haben etwas Messianisches, ganz in Weiß, mit langen Haaren und Bärten. Immerhin wurde Potsdam als Potsdam begrüßt und nicht als Berlin, was die preußische Kleinstadtseele ja regelmäßig schmerzt. Nein, Friska Viljor wollten nicht verletzen, sondern einlullen mit ihrer tieftragischen Sympathie. Das ist zwar gefährlich und ehrlich gesagt auch wahnsinnig pathetisch, aber Skandinavier leiden wohl generell intensiver, das muss an der Dünnhäutigkeit liegen und dem permanent schlechten Wetter im Norden.

Vielleicht muss man aber auch ein bisschen auf den Kopftongesang stehen, der immer ein wenig kastriert daherkommen mag, aber die Tragik verstärkt. Sänger Joakim Sveningsson hat jedoch ungeachtet der unverschämten schwedischen Nikotinpreise eine verrauchte Stimme, er scheint sich das leisten zu können. Aber genau diese Rauheit greift die allzu oft gehörte poppige Belanglosigkeit da an, wo es wehtut: Eine Prise Bryan Adams hat dem Balladesken ja noch nie geschadet.

„Psst, bitte leise!“, kommt dann auch die erste zischende Zurechtweisung einer besonders leidenden Besucherin, mitten in die Tragik der Band hinein, die noch tragischer wirkt, wenn sie sich auf Gitarre, Gesang und Keyboard reduziert: Kein Gemurmel darf das Pathos beschädigen. Auf der Bühne unterdessen Dreivierteltakt, „You don’t want me“ ist als exemplarische Textzeile zu verstehen, bleischwer-depressiv, und diese suizidale Tragik kriecht wie Bodennebel knöcheltief durch den Lindenpark.

Und es wird immer fragiler, fast schon zerbrechlich. Nach dem theatralischen, minutenlangen Freeze der Band nun in die Abwärtsspirale der Zärtlichkeit, kurz vor dem Verwelken aber doch der Ausbruch: Eben war man noch kurz davor, sich von der aufkommenden Langeweile niederdrücken zu lassen, dann die Erlösung. Das war gut. Fast schon, ja: episch. Je zarter es wurde, desto anfälliger: Das Keyboard war dabei irgendwie die Mimikry eines Kammerorchesters.

Vielleicht sollte man den Chorus aber ein bisschen drosseln, das war dann doch zu viel „Oooohhh - oooohhh - aaaah!“ in den Ohren. „Shotgun Sister!“, dröhnte eine männliche Stimme aus dem Publikum in die Stille, aber die brummige Intonation des Zwischenrufs klang eher wie „Verpisst euch!“, auch wenn das gar nicht gemeint war. Im Publikum wurde es in der Zwischenzeit leise, und zwar so sehr, dass man das genügsame Rückkopplungs-Brummen des Bassverstärkers hören konnte, und zwar ganz deutlich. Und ganz zum Schluss, als letzter Song kam dann auch „Shotgun Sister“, und wer diesen Song nicht verstehen kann oder will, der versteht auch die anderen nicht.

Oliver Dietrich

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