
© Steffen Jahsnowski-Herschel
Kultur: Psychothriller vor exotischer Kulisse
Juli Zeh stellt ihren aktuellen Roman „Nullzeit“ am Donnerstag im „nachtboulevard“ vor
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Fast wäre Sven Fiedler Jurist geworden. Kurz nach dem zweiten Staatsexamen jedoch hat er, angewidert vom Zynismus seiner Professoren und der Aussicht auf ein geordnetes Dasein in kleinbürgerlicher Enge und weil er „das Leben in einem allumfassenden Netz aus gegenseitigen Beurteilungen nicht länger ertrug“, Deutschland den Rücken gekehrt und sich nach Lanzarote abgesetzt. „Als ich wenig später auf der Insel ein neues Leben begann, war ,Raushalten’ das Fundament, auf dem ich meine Weltsicht erbaute.“ In der Einsamkeit der Vulkaninsel, wohin sich nur wenige Menschen verirren, betreibt der Aussteiger seither gemeinsam mit seiner langjährigen Freundin Antje eine Tauchschule. Hier fällt es leicht, sich nicht in fremde Probleme einzumischen. Bis der Unfriede in sein Rückzugsgebiet vordringt und der Protagonist in Juli Zehs aktuellem Roman „Nullzeit“ (Verlag Schöffling & Co., Frankfurt/M. 2012, 19,95 Euro), aus dem sie am morgigen Donnerstagabend im „nachtboulevard“ in der Reithalle vorlesen wird, sein Lebensmotto über den Haufen wirft.
Auch in ihrem Roman „Nullzeit“ gelingt es der Erfolgsautorin Juli Zeh wieder, ein feines Porträt der modernen Gegenwart zu zeichnen. Doch lässt sich ihr neues Buch im Vergleich zu ihren früheren, oft aufwendig komponierten und altmodisch ausschweifend geschrieben Werken unglaublich flott und flüssig herunterlesen.
Dass Juli Zeh für ihre Verhältnisse hier wesentlich schlichter zu Werke geht, ist sicher jedoch auch dem Stoff selber geschuldet. Denn „Nullzeit“ ist eine als Psychothriller vor exotischer Kulisse ablaufende Dreiecksgeschichte mit üblichem Sexgehalt. Diese beginnt bereits wenige Seiten nachdem Jola, die Darstellerin in einer TV-Soap, zusammen mit ihrem etwas ältlichen Lebensgefährten Theo, einem erfolglosen Schriftsteller, auf der Insel eingetroffen ist und Sven als Tauchlehrer und Exklusivbetreuung für zwei Wochen gebucht haben. Denn wie es nicht anders sein kann, verliebt sich Sven nach anfänglicher Reserviertheit natürlich in die schöne Schauspielerin. Und da Antje für Sven ohnehin mehr treues Anhängsel denn Geliebte ist, beginnt er hemmungslos eine Affäre mit Jola, die sich auf die Filmrolle einer berühmten Taucherin vorbereiten will, um endlich dem drögen TV-Serien-Image zu entkommen. Dass sich die beiden erstmals inmitten einer schön beschrieben Unterwasserwelt auf dem Meeresgrund näherkommen, versteht sich fast von selbst.
Interessanter liest es sich, wie der so naiv liebeskranke Sven nun auch mehr und mehr Einblicke in die überaus kranke und von gegenseitigen Demütigungen geprägte Beziehung zwischen Jola und Theo erhält. Während sie ihn nur „alter Mann“ nennt, ihn vor Fremden erniedrigt und doch nicht von ihm loskommt, wird er seinerseits regelmäßig gewalttätig gegen sie, zwingt sie zu sadomasochistischem Sex und ist ihr anschließend stets in melancholischer Hingabe verfallen. Reizvoll irritiert ist man jedoch erst, als die zwischendurch immer wieder eingestreuten Tagebuchaufzeichnungen Jolas von den Berichten des Ich-Erzählers Sven abweichen und ihnen in entscheidenden Punkten schließlich sogar widersprechen. Wer hier mit wem sein übles Spielchen treibt, bleibt lange ungewiss. Klar ist jedoch, dass Sven ein Teil davon ist und sich längst nicht mehr „raushalten“ kann.
Ohne Zweifel hat Juli Zeh einen durchaus gefalltauglichen Roman geschrieben, der trotz häufiger Vorhersehbarkeit und den zu blassen Figuren, die man schnell wieder vergessen wird, einen unweigerlichen Sog entwickelt und auch eine gewisse Tiefe besitzt. Nicht ausgeschlossen, dass „Nullzeit“, wie schon ihre Romane „Spieltrieb“ und „Schilf“, es wieder auf die Theaterbühne schafft oder die Vorlage für eine warum nicht sogar gute Verfilmung abgibt. Das Buch allein jedoch überzeugt vor allem als nette Urlaubslektüre.
Am Donnerstag, dem 25. April, um 20 Uhr im „nachtboulevard“ in der Reithalle A, Schiffbauergasse 11. Eintritt kostet 15 Euro
Daniel Flügel
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