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Kultur: Pudellieder

Marco Tschirpke bei der Langen Nacht des Kabaretts im Obelisk

Marco Tschirpke bei der Langen Nacht des Kabaretts im Obelisk So geht es nicht. Marco Tschirpke wird als „Geheimtipp“ auf den Brettern des Kabarett gehandelt. Man schreibt über ihn, dass er seine Texte ganz wunderbar am Klavier begleitet, wobei seine „skurrilen Lapsuslieder“ meist sehr, sehr kurz sind. So wie seine Begrüßung im Obelisk zum Ausklang der Kabarett-Tage: „Wenn ich auf dem Bauch liege, und du oben drauf, träume ich, du wärst nicht so schwer oder du stehst auf“. Da darf man Unverständnis erwarten. Das soll lustig sein? Man muss ein Bild erfinden, um zu erklären, wieso das gut gefüllte Potsdamer Humorhaus, das eben noch robustes Hausfrauenkabarett der Cottbuser „meck up“ bejubelt hatte, nun diesen sympathischen Jungen, Typ wohlerzogener Sohn, sofort ins Herz schloss. Ein bisschen kommt es einem Phänomen gleich, das man aus dem Zirkus kennt: Wenn dort wilde Löwen angekündigt werden, aber dann doch drollige Pudel in den Käfig einlaufen. Und der Dompteur so tut, als ob er es mit Bestien zu tun hat. Dieser Dompteur ist Tschirpke, seine gesungenen Zweizeiler – kaum einer länger – das sind die Pudel. Witzige, wortverspielte, kleine Zwergpudellieder. Die Wirkung entsteht durch einen guten Dompteur. Er singt „Meine Freundin auf dem Foto ist unscharf aber treu (Zwischenspiel auf dem Klavier) ein Zusammenhang ist denkbar ...“ und das Publikum lacht, wenn auch zunächst mit dem von Tschirpke so genannten „Potsdamer Delay“, einer kurzen Verzögerung, bis der Wortwitz endlich angekommen ist. Diese wohl gesetzten, am Klavier gestaltete Pausen sind es, wie überhaupt die Kunst des Reduzierens, deren Prinzip, einmal verstanden und akzeptiert, im Zuschauer die stete Sehnsucht nach mehr freilegt. Die große Geste, die Ankündigung, das versonnene, ja beeindruckende Vorspiel auf dem Klavier, als ob hier Konstantin Wecker einen seiner zeitkritischen Protestsongs anstimmt. Dann ein Liedchen, wie das Lied über Psychohygiene, „Dein Vorwurf trifft mich nicht (Zwischenspiel), wenn ich mich ducke" und dann ist schon wieder, mit einem hohen C auf dem Tastenbrett, Schluss. Eine Technik des Flunkerns mit Größe, die nie vollständig gezeigt wird, des Versprechens, das nicht eingehalten wird, die Helge Schneider – ebenfalls ein begnadeter Musiker – geprägt hat. Für Tschirpke auf der Bühne hat diese knauserige Enthaltsamkeit keine Konsequenzen, seine gespielte Schüchternheit und Unsicherheit schaffen ihm Narrenfreiheit. Denn er bedient sich seines Bürschchencharmes, und schaut sich im Publikum um: „Ich muss mal gucken, es sind ja alle in meiner Altersstufe heute (PAUSE) und sie sind leicht glücklich zu machen.“ Natürlich könnten nahezu alle Besucher der „Langen Nacht“ Tschirpkes Eltern oder sogar Großeltern sein. Aber sie mögen ihn, weil seine kabarettistischen Haikus manchmal gemein sind, aber zu pudelklein, um wirklich weh zu tun. Wie im „Lied über die Würde des Altern“, es lautet: „Mutti, warum hast du dich liften lassen, (Zwischenspiel) Papa sucht schon nach dir?“ Nur ist Tschirpke nicht nur der liebe Sohnemann, sondern wechselt auch beizeiten zum verunsichernden Provokateur: „Fühlen sie sich textlich über- oder unterfordert, wie ist das?“, will er wissen. Und der Saal ist sich nicht ganz sicher. Die Lieder sind kurz, aber könnte nicht mehr dahinter stecken, statt Pudel doch Bestien? Tut der vielleicht nur so naiv? Auch wenn Tschirpke glaubt, er wäre nur zufällig auf die Bühne des Kabaretts am Obelisk geraten und sein Publikum mit der Frage herausfordert, ob es seine Lieder ehrlich für Kabarett hält, seine Miniaturen haben ähnliche Wurzeln. Worte werden auf ihre Doppeldeutigkeit überprüft, wie im Lied für Henry Maske: „Henry kann nicht schlafen, am Morgen sieht man ihn vor allen Dingen mit seinen Augen – ringen“, gelegentlich wird es da beinahe lyrisch: „Seit ich am Morgen unten war mit dem Besen (Zwischenspiel) liegt der Hof ganz in sich gekehrt", oder philosophisch „Wo ein Wille ist, da ist ein Weg, und wo zwei Willen sind (PAUSE) da ist er verbaut.“ Marco Tschirpke hat mit seinen „Lapsusliedern“ eine intelligente Form des Kabaretts entwickelt. Wilder Löwe oder kleiner Pudel? Tschirpkes Talent ist es, diese Frage offen zu lassen. Das ist gefährlicher. Im wahrsten Sinne des Wortes: sehr kurzweilig. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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