Kultur: Pultmagier
Kammerakademie konzertierte im Nikolaisaal
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Drahtig, wie immer auf dem Sprung, steht der musikalische Feldherr Antonello Manacorda auf dem Dirigierhügel. Nervig gespannt bis in die Fingerspitzen. Einer kurzen Konzentrationsphase folgen die enorm präzisen Einsatzbefehle an die Truppe. Mit welcher genau kalkulierten Marschrichtungsorder werden die Musiker der Kammerakademie, obwohl vorher gründlich probiert, in das Notengetümmel geschickt?
Werke von Jahresjubilar Benjamin Britten und von Franz Schubert gilt es sich zu „erobern“ und dem Publikum am vergangenen Samstag im Nikolaisaal auf zeitgemäße Weise nahezubringen. Dass man dabei mit einer analytischen Lesart und einem extrem schlanken Klang konfrontiert wird, stand aus Erfahrungen mit dieser eingeschworenen Klangmannschaft zu erwarten. Die Sinne werden nicht enttäuscht.
Eröffnet wird die Britten-Hommage mit dessen Spätwerk, der „Suite on English Folk Tones“ op.90. In ihr erinnert sich der Komponist an erste kindliche Musikeindrücke. Für den Kontakt mit der Vergangenheit verwendet er Tanzmelodien aus dem 17. Jahrhundert, die ihm als Ausgangspunkt eigener fantasievoller Klangbilder dienen. Rau und geradezu martialisch erklingt eingangs die Gigue „Cakes and Ale“, um schließlich mit dem elegischen Tanzlied über „Lord Melbourne“ zu enden. Dazwischen erfreut harfenbestimmtes Musizieren, weich getönt, bei dem des Singens kalkulierter Gefühle fast kein Ende zu sein scheint. Dann wieder erzeugen die Bläser zum Rhythmus der kleinen Trommel einen hohl klingenden Totentanz, fiedeln wenig später die Geigen wie eine Gruppe von norwegischen Hardanger Fiedeln. Überaus reizvoll.
Gedichte von Arthur Rimbaud sind es, die dem Komponisten die Vorlagen für seine „Les Illuminations“-Kantate für Sopran und Streicher op. 18 liefern. Doppeldeutig ihr Wortsinn. Was englisch festliche Beleuchtung oder farbige Illustration meint, bedeutet französisch Erhellung oder Erleuchtung. Beides darf man getrost bei diesem anglo-französischen Brückenschlag assoziieren. Die schwedische Sopranistin Lisa Larsson, im langen, weißen und weich fließenden Glitzerkleid eine glanzvolle Podiumserscheinung, singt wie gewandet: mit leichter, breit strömender, dann wieder kraftvoller, kokett bis kapriziös tönender Kehlenfertigkeit, mit der sie genauso mühelos Spitzentöne herauszuschleudern oder mit verführerisch schmachtendem Glissando sich ins Pianissimo zurückzuziehen versteht. Nicht weniger perfekt gelingt das Zusammenwirken der Sängerin mit den Musikern.
Düster und zupackend gerät das Entree von Schuberts 4. Sinfonie c-Moll, genannt die Tragische. Dass sie es eigentlich nicht sei, wie es in vielen Lexika geschrieben steht, widerlegt Antonello Manacorda auf packende Weise. Sein Spannungsaufbau gerät wie aus dem Bilderbuch: präzise, mit kurz phrasierten und knallhart gesetzten „Ausrufezeichen“. Spannend der Übergang in die durchweg dramatisch geprägte und klanggeschärfte Attitüde.
Ein Berserker ist da am Werk, der loderndes Feuer bis zur Brunst zu entfachen versteht. Unruhevolles jagt sturmesgleich vorüber, Liebliches und Liedhaftes zeigt sich ohne jegliche Sentimentalitäten. Mit hinreißender Intensität wird musiziert, dass die Fetzen fliegen, die Funken zünden und die Kontraste explodieren. Nichts für zartbesaitete Schubertianer, denen es doch ein wenig an Gefühl zu mangeln scheint. Enthusiastischer Jubel. Peter Buske
Peter Buske
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