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Kultur: Radikal dunkel

Unidram III: Bildertheater aus Lublin

Stand:

Unidram III: Bildertheater aus Lublin Ui, ist das dunkel hier. Einen hermetischen, schwarzen Gang werden die Zuschauer der polnischen Produktion „Passing away“ (engl. für dahin scheiden) entlang geschickt. Dann sitzen sie auf den Rängen in einem langgestreckten, stockdunklen Raum, schmal und lang. Die Hand vor den Augen, sie ist verschwunden. Der Nebenmann auch. Beklemmung und Unwohlsein. Niemand weiß, wie der Tod aussieht, und was danach kommt, aber die schwarze, lichtlose Vorstellung des Bildertheaters von Leszek Madzik, der nun schon mit der dritten Produktion bei Unidram gastiert, kommt dem großen Nichts schon recht nahe. Licht, Essenz des Lebens und Voraussetzung des Sehens und Erkennens, ist hier knapp. So erkennt man nur undeutlich und beginnt zu fühlen. Zunächst erklingt eine angenehme Musik in diesem sarglangen Bühnenraum, eine weibliche Stimme summt esoterisch, ein Saxophon gießt seinen Schmelz darüber. Wessen Leben am Ende ist, den begleitet brutalschöner Kitsch auf seine letzte Reise. So schön, wie auf die Dauer quälend. Ein riesiges Tor, es muss der Sargdeckel sein, schließt sich direkt vor der ersten Reihe. Viel ist nicht zu erkennen, aber Extremitäten oder Wurzeln, wie sie durch den Boden stoßen, bewegen sich doch im Zwielicht. Dann öffnet sich ein Spalt aus rotem Licht. Ist das der Übergang in das Reich des Todes? Die Gruppe Scena Plastyczna KUL entbeint konsequent herkömmliche Vorstellungen eines wortreichen Theaters. Sie inszeniert mit einigem technischen Aufwand stille Illusionsräume und nahezu statische Figurenbilder, manche nur für einen entrückend schönen Augenblick. Schön ist alles, was man da aus der Dunkelheit mit Anstrengung heraus saugt. Lustig, heiter witzig, ironisch sind Kategorien, für den der Herr der Unterwelt jedoch nicht zuständig ist. Alles ist langsam und würdevoll. Ein mannshoher, bühnenbreiter Kasten wird mit Mühe im Schneckentempo von einer schwarzen Figur in Rotation gehalten. Nach jeder Drehung gibt der Kasten ein neues Bild in trüber Milchglasoptik frei. Eine reglose Frau auf dem Boden, bestimmt tot, ein Mann am Tisch. Bald legt er sich sanft auf die Tischplatte. Wohl nun auch tot. Ausgangpunkt der Theater-Arbeit, so heißt es im Begleitblatt, ist das enge Verhältnis des polnischen Dichters Tadeusz Rózewicz zu seiner Mutter. Zum Ende plustern sich über die gesamte Bühnentiefe pergamentene, große Kegelleuchten auf, die mit Köpfen bedruckt sind. Bald sacken sie schon wieder in sich zusammen, es bleibt ein zartes Nachschimmern. Fasst man zusammen, ist der Tod mit einer ungeheuren Radikalität dunkel, und offensichtlich plagt ihn keine Eile. Einen Sinn für Dramatik braucht er nicht mehr. Das dunkle Reich von Leszek Madziks Stück ist das eigentliche Drama. Schwarz, schön, betörend – schrecklich, weil so unlebendig. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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