Kultur: Radikal und politisch relevant Zum 90. Geburtstag von Ökofilmer Horst Stern
Sicher sind es nur wenige, die sich noch an das bundesrepublikanische Fernsehprogramm am Heiligabend 1971 erinnern: Damals löste eine Sendung mit dem harmlos klingenden Titel „Bemerkungen über den Rothirsch“ zunächst einen Skandal und in der Folge eine parlamentarische Anfrage aus, die zur Nivellierung der Jagdgesetze der BRD führte.Was war passiert?
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Sicher sind es nur wenige, die sich noch an das bundesrepublikanische Fernsehprogramm am Heiligabend 1971 erinnern: Damals löste eine Sendung mit dem harmlos klingenden Titel „Bemerkungen über den Rothirsch“ zunächst einen Skandal und in der Folge eine parlamentarische Anfrage aus, die zur Nivellierung der Jagdgesetze der BRD führte.
Was war passiert? Der Journalist Horst Stern hatte in seinem Film das Sterben des deutschen Waldes nicht nur faktisch unterlegt und mit aller Schärfe benannt, sondern auch einen unliebsamen Grund dafür ausgemacht: Gezüchtet für die Jagd, lebten zu viele Hirsche in deutschen Wäldern. Die Gier reicher und einflussreicher Jäger nach den Trophäen sei Ursache für den kranken Zustand des Waldes.
Zum 90. Geburtstag des Journalisten, Publizisten und Autors Horst Stern, dessen deutliche Worte damals einen Sturm der Entrüstung auslösten, fand am Mittwochabend im Filmmuseum ein Öko-Film-Gespräch statt. In seiner Laudatio verwies der Filmwissenschaftler Kay Hoffmann vom Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart darauf, dass viele Positionen des radikalen, politisch relevanten Journalisten später von der Wissenschaft oder der gesellschaftlichen Entwicklung bestätigt wurden. Ein Beispiel hierfür lieferte auch das Porträt „Horst Stern - Die ermüdete Wahrheit“ des Filmemachers Ulli Pfau, das zum 70. Geburtstag des Jubilars entstand: Bereits lange vor der Entwicklung eines boomenden Massentourismus hatte Horst Stern den Finger auf die gravierenden Umweltprobleme gelegt, die eine zunehmende Verstädterung des Alpenraumes mit sich bringt.
Wer mit dem Abstand der Jahre die „Bemerkungen über das Haushuhn“ sah, eine Episode aus seiner Dokumentarfilmreihe „Sterns Stunden“, mit der der Pionier des kritischen Fernsehjournalismus in den 70er Jahren zur TV-Legende wurde, mochte auch ob der Aktualität der präzisen und herausragend recherchierten Kritik, die seine Arbeiten stets auszeichnete, erschrecken: Wie wenig hat sich an den vor mehr als vier Jahrzehnten aufgezeigten, einer artgerechten Tierhaltung zuwider laufenden Zuständen der Massenhaltung von Hühnern geändert. Sie scheinen eher zugespitzt denn verbessert. Und so war es fast zwangsläufig, dass sich die von der Journalistin Christiane Grefe moderierte Diskussion auch weit gefächert um Aspekte der Wirkung von Horst Sterns Arbeiten drehte, der in den 70er Jahren, die als die experimentierfreudigsten in der bundesdeutschen Fernsehgeschichte gelten, auch ein „Unikat“ in der Mediengeschichte war.
Der Jubilar selbst, in dessen Filmen es nicht um Exotik und ferne Welten, sondern um heimische Tiere vor der eigenen Haustür und deren artgerechte Haltung ging und der der westdeutschen Gesellschaft einen Spiegel ihres von ökonomischen Interessen bestimmten Umgangs mit der Natur vorhielt, hatte sie selbst später einmal resigniert als „ermüdete Wahrheit“ bezeichnet, die nichts verändere: Nach wie vor würden Hühner in Käfigen gehalten, in die sie nicht gehören, oder Kälber in engen Boxen fern des Muttertiers.
Woran es denn liege, dass die Angriffslust eines Horst Stern, der mit seiner Wissenschaftsnähe und Wissenschaftskritik eine ganze Generation junger Journalisten geprägt habe, verloren gegangen sei, wollte die Moderatorin wissen und ein Zuschauer, warum es heute nicht mehr Charakterköpfe vom Format eines Horst Stern im Fernsehen gäbe? Die Fragen provozierten einen Exkurs über die Veränderungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen seit dem Start des privaten Fernsehens in Deutschland. Inzwischen entscheide die Quote über das Schicksal einer Sendung, so Ulli Pfau.Gabriele Zellmann
Gabriele Zellmann
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