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Kultur: Raffinierter Klangwirker

Orgelsommer-Konzert mit Einspringer Björn O. Wiede

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Orgelsommer-Konzert mit Einspringer Björn O. Wiede Von Peter Buske Eigener Herd ist Goldes wert, sagt das Sprichwort. Abgewandelt für Organisten lässt sich behaupten, dass es sich an der gotteshauseigenen Königin der Instrumente noch immer am besten kuschelt – weil man sich kennt und daher miteinander kann. Potsdams Kantoren machen da keine Ausnahme. Und sie erfüllen ein weiteres Sprichwort, das da lautet: Schuster, bleib'' bei deinem (Orgel-)Leisten. Höchst selten, dass einer der Herren bei größeren Anlässen in fremden Orgelbank-Revieren wildert. Beim diesjährigen Internationalen Orgelsommer ist das plötzlich ganz anders. Zur Eröffnung des renommierten Klangfestes hatte sich Andreas Zacher (Propsteikirche St. Peter und Paul) an der Schuke-Orgel in der Erlöserkiche niedergelassen. Matthias Jacob (Friedenskirche) wird das nächste Konzert in der Erlöserkirche bestreiten. Neu in den Bund der orgelsommerlichen Fremdgeher ist nun Björn O. Wiede aufgenommen, der innerhalb weniger Stunden zum Einspringer in ein Konzert wird, das – in Kooperation mit den Bachtagen Potsdam veranstaltet – der Mailänder Organist Giorgio Parolini bestreiten sollte. Ein schwerer Krankheitsfall in dessen Familie verhindert jedoch die Anreise. Der Kantor von St. Nikolai und Künstlerische Leiter der Bach-Tage stellt sich wahrlich über Nacht ein Programm mit Musik um Bach und Improvisationen zusammen, das sich hören lassen kann. Der barocke Tonsetzer selbst kommt darin nicht vor, einige seiner Zeitgenossen schon. Zum Beispiel der Hamburger Johann Adam Reincken (1623-1722). Dessen Toccata G-Dur präsentiert Björn O. Wiede als eine reichlich verspielte Piece über einen rauschenden Orgelpunkt. Spannend verfolgt die erfreulich zahlreiche Zuhörergemeinde den rhythmisch vertrackten zweiten Teil des Stücks, der sich im Diskant abspielt; ihm folgt ein sich geradezu verzückt zeigender Abschnitt, der abgelöst wird durch Passagen voller gedeckter und schnarrender Stimmen, die endlich in einen opulenten, fast romantisch erfühlten und erfüllten Klangrausch münden. Einen Hang zum Verspielten, zu einer geradezu katholischen Üppigkeit zeichnet die Toccata octava aus der Orgelsammlung „Apparatus musico-organistus“ von Georg Muffat (1653-1704) aus. Das wahrlich berauschende Werk von Bachs berühmtestem Zeitgenossen aus dem süddeutschen Raum geht dabei nicht gerade zimperlich mit harmonischen Entwicklungen um, die damaligen Ohren sicherlich sehr verwunderlich erschienen sein mochten. Heutige sind da ganz andere Kost gewöhnt. Fröhlich und festlich, dann wieder tänzerisch beschwingt breitet sich das Werk aus. Hier wie auch in der Suite du deuxieme Ton von Louis Nicolas Clerambault (1676-1749) zeigt sich Björn O. Wiede, der an St. Nikolai nur über eine Mini-Orgel verfügt, jedoch als ein lustvoller Mischer von leuchtkräftigen und kontrastierenden Farben, als ein raffinierter Klangwirker. Fast scheint es, als nutze er die Gunst der Stunde, um seine Registrierungs-Fantasien frei schweifen lassen zu können. Fern allen sakralen Ernstes erklingt die siebenteilige Komposition klangsinnlich und beseligt, erfüllt von geradezu dionysischer Lust. Pointiert und helltönig, mit durchdringenden Stimmen angereichert, melden sich Duo und Trio zu Wort. Da die Disposition der Schuke-Orgel (1964) verschiedene Barock-Register nicht enthält, muss dafür passender Ersatz gezogen werden. Für die fehlende Bassstimme des Krummhorns in dem gleichnamigen Tanzsatz „Basses de cromorne“ zieht Wiede das Zungenregister der Oboe, für „Recit de nazard“ verwendet er stattdessen die Sesquialtera. Prinzipalgesättigt und kraftvoll beschließ eine Caprice „sur les grands jeux“, also im vollen Spiel der Orgelwerke, das schwungvolle Stück. Solchen registrierenden Erfindungsreichtum zeichnet auch die Wiedergabe der liturgienahen Partita „Auf meinen lieben Gott trau ich in Angst und Not“ von Georg Böhm (1661-1733) aus. Hier lässt der Organist die Melodiestimme originell im etwas gepresst und quäkig klingenden „Vox humana“-Register ertönen. Den Gedankenreichtum der einzelnen Verse deutet er plastisch aus, wenn er etwa in der zweiten Strophe gravitätisches Gottvertrauen erstehen lässt. Wie botschaftsbesessen Björn O. Wiede von dem ist, wovon er klanglich kündet, zeigt sich in den Improvisationen über die Weise „Geh'' aus, mein Herz, und suche Freud''“, die von durchdringenden Flötenstimmen bestimmt werden. In ihnen wird nicht mit Dissonanzen und Clustern gespart, sorgen Farbkontraste (weich und gedeckt gegen hart und durchdringend) für originelle Verfremdungen der Melodie. Und in seiner „Fantasie über B-A-C-H und ein anderes königliches Thema des Herrn Bach“ zeigt sich Björn O. Wiede wieder als ein erfindungsreicher Modulator, der seine zeitgemäße Annäherung ans Barock mit akkordischem Glanz und toccatischer Gloria vollzieht. Ihm wird herzlich gedankt. Nächstes Orgelsommer-Konzert in der Erlöserkirche: 3. September, 19.30 Uhr. Matthias Jacob spielt Werke von Bach, Couperin, Martin und Scheidt.

Peter Buske

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