Kultur: Rahmen gesprengt
Dritte Lange Nacht der Freien Theater im T-Werk
Stand:
Kleintransporter, die schon ein ganzes Theaterleben auf ihren Rädern stehen müssen. Bierbänke im Sand gruppiert vor Großpfützen. Im T-Werk trafen sich rund die Hälfte der zwanzig unabhängigen Theater des Landes zur künstlerischen Leistungsschau. Unsicher der Himmel über den dreihundert Besuchern, die im feuchten Sand des Hofes auf die Eröffnung warten. Unsicher auch die Situation der Theater aus Potsdam, Glindow, Brandenburg/Havel und Gebersdorf. Sie bieten, so der Organisator Jens-Uwe Sprengel vom T-Werk zu den knappen Kassen „viel Theater für wenig Geld“.
Ein Holzpfahl wie ein Schiffsmast ragt in das Grau des Himmels. Stahlringe an Stricken und zwei Lampen bilden ein einfaches großes Gesicht. Es bewegt den breiten Kiefer zu einer getragenen Arie. Mozart, Mahler, Strauss wird geraten. Abgerissen aussehende Uniformierte umkreisen im Laufschritt das Gebilde, rufen in fremden Sprachen und bringen kleine und große Figuren ins Spiel. Ein rostiges Pferd reißt aus Versehen ein Kind um, das in der ersten Reihe steht. Eine Marionette klettert den Mast empor. Dann fließt Wasser aus den Lampen. Die Augen des Mastgesichts, sie weinten wie aus Kübeln. Die Eröffnungszeremonie des Wandertheaters Ton und Kirschen aus Glindow war ein fantastisches Material- und Bewegungsspektakel. Glindow, sagte der Schirmherr der Veranstaltung, Landtagspräsident Gunter Fritsch anerkennend, das wäre eben mehr als eine gesperrte Autobahnauffahrt. Die Politik schätzt das Freie Theater. Fritsch blieb lange an diesem Abend.
Die jüngst bezogenen neuen Räume des T-Werks barsten zu der Theaternacht am Samstag beinahe. In jede freie Ecke wurde noch ein Sitzkissen geschoben, die Luft war warm, schlecht und dünn. Da kann einem die Idee kommen, ob nicht größere Räume auf dem Gelände gefunden werden könnten. Häusertausch für einen Abend mit dem großen roten Riesen?
Die jungen Tänzer und Darsteller von Oxymoron verdienten sich gleich zu Beginn den kräftigsten Applaus der Nacht. „I want to believe“ heißt ihr neues Stück, Ausdruck einer verzweifelten Suche. Umgesetzt durch bildhübsche fragende Gesichter und kraftstrotzende Bodenrotationen. Flamenco und HipHop Kultur, hochgeschossene Jünglinge auf schwarzen Lederstilettos, wummernder Sound.
Das Theater Marameo und das Poetenpack traten als Konkurrenten des kommenden Potsdamer Sommertheaters an. Klassiker, vorwiegend Leichtes, wollen an romantischen Orten der Stadt verführen. Marameo zeigte mit einem Ausschnitt aus „Gefährliche Liebschaften“, wie viel Bosheit in der Liebe stecken kann. Das Poetenpack brachte Kleists „Der zerbrochene Krug.“ Präzis gespieltes Puder- und Perrückentheater in historischem Gewand. Konventionell zwar, aber auf angenehm hohem Niveau.
Die „flunker produktionen“ aus Gebersdorf eroberten die Herzen mit ihrem Nonsens „Das Erfolgsstück“. Lautes Stöhnen, schon ist „der Erfolg“ geboren. Ein eiförmiges Kautschukding mit Lurchkopf. „Tach, Muttis!“ nervt der kleine mit dem großen Selbstbewusstsein, der hilft, wo er kann. Die drei Schauspieler und ihre Puppen verbinden auf einer rosa Holzbühne Kunstaussage und Volksansprache. Der „Erfolg“, der im Lande nun wirklich häufiger vorbei schauen könnte, wird als eigensinniges, naives Wesen enttarnt. Sein Tipp an die Zuhörer: „Auf dem Weg nach oben immer sauber bleiben!“ Lustig, und gar nicht so harmlos.
Hank Teufer vom Event Theater aus Brandenburg an der Havel verströmte entliehene Heiterkeit aus den bitterbösen Texten von Dietmar Wischmeyer. Nicht richtig Theater, aber frei genug, um sich mit Ekki Busch als Leihwessi am Akkordeon alle alten Zöpfe zur Wiedervereinigung um die Ohren zu hauen. Merke: die Provinz braucht anscheinend mehr zündende Unterhaltung als irritierende Kunst.
Eine Kräfte zehrende, aber sehr unterhaltsame und bunte Lange Nacht, der man einen noch großzügigeren Rahmen wünschte. Mehr Zeit zum Austausch, mehr Platz zur Entfaltung für die vielen Interessierten und auch gleich den Verzicht auf parallel stattfindende Vorführungen. Dazu zählt auch die Literaturnacht, die ebenfalls zum „Frühstart Schiffbauergasse“ im Neuen Theater stattfand und Besucher in Konflikte brachte. Wann kommt ein Kommunikationskonzept, etwa mit Eintrittskarten, die in jedem Haus gelten? Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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