Kultur: Raserei auf Notenlinien
Ein Sinfoniekonzert mit der Kammerakademie
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Werke von Beethoven und Mozart auf ein Programm zu setzen, ist zwar publikumsanziehend, aber nicht sonderlich originell. Sie von einem Alte-Musik-Spezialisten wie Andrea Marcon dirigieren zu lassen, schon eher. Die Erwartungen an ihn und die Kammerakademie Potsdam, die das 6. Sinfoniekonzert der Nikolaisaal-Reihe im ausverkauften Auditorium bestritten, sind entsprechend hoch. Doch neu ist das Unterfangen keineswegs, bewährte Interpretationsansätze durch die Rückhinwendung zur historischen Aufführungspraxis neu zu befragen. Nun hat auch der künstlerische Co-Dirigent des Orchesters der Landeshauptstadt die Wiener Klassik gehörig aufgemischt. Immer zu ihrem Vorteil?
Wie Jahrzehnte zuvor bereits Kurt Masur sich für die Verwendung der Beethovenschen Metronomangaben einsetzte, folgte nun auch Marcon innerem Drang. Um sich und dem Publikum die Frage nach dem „richtigen“ Tempo zu beantworten. Im Programmheft-Interview erläutert er seine Intentionen und beruft sich im Falle von Mozart auf den Kronzeugen Carl Czerny, der nachträglich aus seiner Erfahrung als Interpret einige späte Mozartwerke metronomisiert habe. Eine „Begründung“ aus zweiter Hand also für Marcons neuen Sinn stiftenden Interpretationsansatz. Ist sie deshalb auch glaubhaft? Im Falle der g-Moll-Sinfonie KV 550 weit weniger als beabsichtigt.
Feurig lässt er sie starten. Nicht nur das einleitende „Molto allegro“, sondern auch das Menuetto und das finale „Allegro assai“ werden unter fast ständigem Hochdruck und mit abrupten Dynamikwechseln musiziert. Gefällig erklingt das Andante, jedoch nicht immer spannungsvoll genug. Die Musiker hält der Dirigent straff an der Leine. Davon profitieren die Bläser, die sich mit vorzüglich artikulierten „Einwürfen“ revanchieren. Den Streichern ist das Vibrato auf ein Mindestmaß beschränkt. Danach klingt es auch: spröde, langweilig, unelegant Kurzum: Mozart fehlt es an Leichtigkeit, an Anmut und Noblesse.
Das Versäumte sucht der Dirigent bei Beethovens „Eroica“-Sinfonie Es-Dur op. 55 durch angezogene Tempi wieder wettzumachen. So rasant hatte sich der Tonsetzer das einleitende „Allegro con brio“ also gedacht, als er MM 60, bezogen auf einen Takt, vorgab? Was im speziellen Dreiviertel-Takt-Fall bedeutet, dass man Mälzels Metronom auf reale 180 einstellen muss, was wiederum einem Presto entspricht. Doch sind des tauben Meisters Notierungen (13 Jahre nach der Sinfonieuraufführung) tatsächlich der Weisheit letzter Schluss? Ist der Puls der Musik vielleicht nicht doch wichtiger?! So wie sie spielen, überhetzt und forciert, scheinen die Musiker einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellen zu wollen. Raserei auf Straßen wird gemäß StVO geahndet, die auf Notenlinien bislang leider noch nicht.
Wie ihm hier die Pferde durchgehen, ist in ihrer Art zweifellos konsequent. Ob allerdings auch dem Werk angemessen, darf durchaus bezweifelt werden. Gibt es gerade bei der „Eroica“ nicht doch etwas zu gestalten?! Nun also hechelt gehetzt ein hitzköpfiger Held effekthascherisch durch die Welt- und Musikgeschichte. Das nötigt ihm zwar Respekt ab, zeitigt jedoch keinerlei Anteilnahme. Auch gehen Trauermärsche anders als vorgeführt: sie sind inhaltsschwerer. Übrigens: auch ständiges Forcieren ermüdet auf Dauer! Doch höre da: auch Marcon fällt gegen Ende des 2. Satzes in den traditionellen „Tempotrott“ zurück – sehr zum Wohle der Musik. Wie einst die legendäre Sprintkönigin Marlies Göhr, stürzen sich die Musiker ins Ziel. Die scheinbaren Sieger werden mit Bravobeifall überschüttet.
Peter Buske
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