zum Hauptinhalt

Kultur: Rast- und heimatlos

Hosfelds Biografie über Tucholsky in Villa Quandt

Stand:

Er hinterlässt keinen Abschiedsbrief. War es Selbstmord? Oder unvorsichtiger Tablettenmissbrauch, der durch zusätzlichen Alkohol seine tödliche Wirkung entfachte? Die Frage konnte nie endgültig geklärt werden. Kurt Tucholsky fand seine ewige Ruhestätte auf einem kleinen Friedhof nahe Schloss Gripsholm, wo er seine letzten glücklichen Tage verlebt hat. Auf seinem Grabstein ist das Goethe-Zitat „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“ zu lesen. Das eingravierte Todesdatum: 21. Dezember 1935.

Als er den Sommer davor auf Gotland verbringt, ist es bereits einsam um ihn. Mitte 40 hat er das Gefühl, alt geworden zu sein. Depressionen befallen ihn. An Schreiben ist kaum mehr zu denken. Tucholsky kann sich nicht vorstellen, dass es aus seiner Feder jemals wieder fließt. Die größte Enttäuschung dieser Zeit ist für ihn die unverhohlene Hitler-Verehrung seines früheren Idols, des norwegischen Schriftstellers Knut Hamsun, der auch gegen den ins Konzentrationslager gesperrten „Weltbühne“-Herausgeber Carl von Ossietzky zu Felde zieht. „In ganz Europa“, so Tucholskys Zeiturteil, „geht leider die Faschisierung trocken und unaufhaltsam fort.“

Rolf Hosfeld, der 1948 geborene Autor, wissenschaftlicher Leiter des Lepsiushauses Potsdam, zeichnet in seiner im Siedler Verlag erschienenen Biografie, die er am Sonntag im Brandenburgischen Literaturbüro in der Villa Quandt vorstellt, ein blutvolles Bild des Schriftstellers (1890 bis 1935), der 1914 aus der Jüdischen Gemeinde austrat, im Ersten Weltkrieg Soldat im Baltikum war und sich 1918 evangelisch taufen ließ. Rast- und heimatlos führte er, innerlich zerrissen, ein Leben zwischen Berlin, Paris und Schweden. Und zwischen den geliebten Frauen.

Tucholsky zählt zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik. Er verfasste Satiren, Lieder, Gedichte und Romane und gab zeitweise die legendäre Berliner Wochenzeitschrift „Die Weltbühne“ mit heraus. Sein konsequenter Antimilitarismus inspiriert bis heute den politischen Pazifismus. Sein Satz „Soldaten sind Mörder“, der in der „Weltbühne“ gedruckt wurde und 1932 zu einem Prozess gegen Ossietzky führte, ist wohl die bekannteste Parole der Friedensbewegung und sorgt nach wie vor für heftige Kontroversen. Kurt Tucholsky verstand sein Schreiben als schärfste Waffe in der politischen Auseinandersetzung, er engagierte sich aber auch direkt politisch, so als Mitbegründer des Friedensbundes der Kriegsteilnehmer. Als Prototyp des moderen Intellektuellen stand er den Linken nahe, hatte aber ausgesprochen konservative Züge und beklagte die Aufweichung bürgerlicher Werte.

In der Biografie von Rolf Hosfeld wird das intensive kurze Leben Tucholskys in all’ seinen Facetten beschrieben: mit seinen politischen und menschlichen Zerwürfnissen, seiner Sehnsucht nach einem Halt und den zermürbenden Selbstzweifeln. JÄ

Matinee und Buchpremiere in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, am Sonntag, 11. März, 11 Uhr. Rolf Hosfeld stellt sein neues Buch „Tucholsky. Ein deutsches Leben. Biographie“ vor. Moderation: Peter Walther. Karten für 6/ erm. 4 Euro unter Tel.: (0331)2804103

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })