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Kultur: Raum zum Selberdenken

Das Kom(m)mödchen gastierte zur Kabarett-Woche

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Das Kom(m)mödchen gastierte zur Kabarett-Woche Das moderne Kabarett ist argumentativ, es bildet seine Leute. Berühmte Namen wetzen Klingen, schleudern „Beweise“ ins Publikum, wonach eine Sache so und nicht anders gesehen werden darf. Es begehrt im Recht zu sein und fordert dafür Beifall. Dergestalt entstand auf der politisch-satirischen Bühne eine ziemlich eintönige Zungen-Ästhetik, welche dem Zuschauer (auch per TV) allein die Wahl zwischen Ja und Nein belässt. Die Klügsten müssten demnach auch die besten sein, doch weiß man ja aus Talk-Shows, wie gnatzig und persönlich ein Aufklärer reagiert, falls er nicht „ankommt“. Aus Spiel wird ernst, Schuld sind dann immer die anderen. Zuerst die Person, dann das Anliegen, nicht immer war das so. Es gab Zeiten, wo sich das Brettl als assoziatives Spielfeld verstand, dem Zuschauer folglich Denkräume öffnete. Man spielte Kabarett, man wollte es nicht unbedingt auch in persona sein. Von diesem guten alten Schlage war offenbar das neu errichtete „Kom(m)mödchen“ bei seinem Mittwochs-Auftritt anlässlich der Kabarett-Woche im Obelisk. Mag es Lore Lorenzens legendäre Bühne in Düsseldorf so nicht mehr geben, Sohn Kai übernahm den alten, gemütlichen Namen mit verjüngter Besetzung. Witzigerweise war die dem Nationalfeiertag gewidmete Tagesordnung „Sechs Dosen Deutschland“ schon im März entstanden, Heiko Seidel, Nicole Ankenbrand und Volker Diefes (vorzüglich ausgebildete Darsteller) gaben ihr Episodenprogramm – sechs Szenen von sechs ungenannten Autoren – im Rahmen einer Tournee, sich leicht verwundernd, warum es in der Charlottenstraße nicht ihretwegen proppenvoll gewesen. Man machte dem Zuschauer vorab klar, womit er zu rechnen habe: Ein experimenteller Abend, bei dem alle mitmachen müssten. Er handle von PISA und anderen Studien, spiele jeweils am 3. Oktober und könne später in der Koschuweit-Kneipe gegenseitig und IQ-mässig ausgewertet werden. Die erste Nummer galt dem „Kulturaustausch“: Ein Paar will sein persönliches „Oktoberfest“ am Rhein beim Halma feiern, die türkische Fraktion darunter den Beginn des Ramadan. Was darüber politisch zu sagen war, legte der unbekannte Autor in die Szene. Wie bei den folgenden auch – Bauer und Bäuerin in MacPomm erleben mit ihrer von einem Wessi empfohlenen Straußenzucht ein Desaster, wobei die Darstellung des letztüberlebenden Vogels durch Volker Diefes geradezu zum Piepen war. Die engagierten Gewerkschafter Hans und Bernd, des ewigen Getrillers und Argumentierens leid, wollen Horst Köhler entführen, damit er Angela Merkel („hätte nicht gedacht, dass der Altweibersommer so eine Bedeutung gewinnt“) erklärt, was an den Hartz-Reformen falsch ist, doch erwischen sie nur eine unbedeutende Referatsleiterin. Die letzte der jeweils 20-minütigen Szenen zeigte auf vergnügliche Weise die intellektuell verquaste Arbeit einer „Hymnenfindungskommission“ nach 1990. Ergebnis: Zwei Takte Musik und als Text einfach „Deutsch!“. Klasse. Andere waren deutlich blasser, was sowohl an den Autoren als auch an der Regie gelegen haben mag. Bliebe jenseits aller Eitelkeiten festzuhalten: Das „Kom(m)mödchen“ entschlägt sich der beliebten Vordenker-Manier, bevorzugt stille Töne der Zustimmung, stellt die angestrebte Sache über die Personen. Wo die Bühne erspielt, nicht aber zugeredet wird, öffnet sich ein alternativer Raum zum Selberdenken. So ein Kabarett klärt nicht auf, es „ist“ - das war der Hauptgewinn des Abends. Gerold Paul

Gerold Paul

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