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Interview zu Potsdamer Konzertreihe: „Räume, die jenseits von Worten liegen“
Tobias Lampelzammer über das Religiöse und andere Wirklichkeiten in der zeitgenössischen Musik.
Stand:
Herr Lampelzammer, „Zwischen Glauben und Erkenntnis“ ist das „KAP modern“-Konzert am morgigen Mittwoch überschrieben. Ein Abend, der sich ausschließlich religiöser Musik zeitgenössischer Komponisten widmet?
In dem Titel zu dem Konzert ist ja auch noch von „anderen Wirklichkeiten“ die Rede. In erster Linie geht es uns an diesem Abend um diese anderen Wirklichkeiten. Im Januarkonzert hatten wir uns in der „KAP modern“-Reihe mit der Diesseitigkeit beschäftigt. Also mit Musik, die ihren Sinn nicht darin sieht, eine Gegenwelt zu der unsrigen zu erschaffen, sondern das Diesseitige zu feiern, wie es ist, direkt, ungeschminkt und unverstellt. Also keine Kunst, die eine Fluchtwelt, eine bessere und schönere Welt anbietet und die einen aufbauen und Kraft geben muss für das irdische Dasein.
Mit dem Konzert „Zwischen Glauben und Erkenntnis“ kehren Sie nun wieder in diese schöne Kunstwelt zurück?
Lassen Sie mich Friedrich Schiller zitieren, der sagte: „Wer sich nicht über die Wirklichkeit hinauswagt, der wird die Wahrheit nie erobern“. In diesem Konzert geht es um Wahrheit und um Erkenntnis, und das in der Form, die Musik besonders gut kann: utopische, ferne und andere Räume zu erschaffen. Räume, die jenseits von Worten liegen. Das ist auch eine Eigenschaft, die Musik über Jahrhunderte hinweg prädestiniert hat, dem Menschen religiöse Inhalte nahezubringen. Da fanden wir es sehr spannend, zu schauen, welche Kompositionen zu diesem Thema in der heutigen Zeit geschrieben werden. Dabei haben wir Werke gefunden, die nicht immer geistlich sind, die sich aber thematisch auf eine andere Ebene, eine andere Wirklichkeit beziehen.
Eine andere Wirklichkeit, die sich wie bei Giya Kanchelis Zyklus „Exil“ aber auch sehr deutlich auf das Religiöse bezieht.
Ja, in diesem Zyklus hat Kancheli unter anderem den 23. Psalm „Der Herr ist mein Hirte“ aus dem Alten Testament vertont. Und wie der Titel „Exil“ schon andeutet, hat Kancheli hier ein ganz besonderes Lebensgefühl verarbeitet, das ihm, der seine Heimat Georgien verlassen musste, sehr vertraut ist. Also das sich Zurechtfinden in der Fremde. Und dieses Thema, diese Spannung zwischen Heimatverlust und Geborgenheit, hat Komponisten zu allen Zeiten beschäftigt. So hat Gustav Mahler gesagt, dass er als Böhme in Österreich, als Österreicher in Deutschland und als Jude in der Welt immer fremd war. Und auch bei Schubert war dieser Weltverlust im kompositorischen Schaffen ein ganz wichtiges Element. Dieses Gefühl von Weltverlust greift auch Kancheli auf. Er hat eine sehr tröstende Musik geschrieben, in der er sich auch nicht scheut, reine Klänge zu verwenden.
Also wird das ein sehr ruhiger, meditativer und in sich gekehrter Abend?
Dieses Konzert wird ruhig und meditativ sein. Aber wir haben wie immer auch eine Brechung dabei. Mit „The Art of Entertainment“ von Hannes Seidel haben wir eine Komposition im Programm, in der er sich auf eine sehr moderne, neuzeitliche Wirklichkeit bezieht. Denn Hannes Seidel versucht hier die Wirklichkeit der Fernseh- und Unterhaltungswelt zu ergründen. Eine andere Wirklichkeit, die uns Tag für Tag umgibt und unser Leben total prägen kann. Seidel hat versucht, die Prinzipien und Strukturen, nach denen Entertainment funktioniert, in ein zeitgenössisches Musikstück umzusetzen. Und darin geht es dann nicht ruhig und kontemplativ zu.
Diese Fernseh- und Unterhaltungswelt führt oft genug auch zu einer Form von Orientierungslosigkeit. Ist bei zeitgenössischen Komponisten vielleicht sogar ein Trend zu erkennen, mit ihren Werken eine Gegenwelt zu entwerfen, in der man zur Ruhe kommt und Frieden findet?
In unserem Konzert sind zum einen die Komponisten zu hören, die diese Form von Verankerung zeigen, die mit ihrer Musik in die Regionen verweisen, die hinter den Tatsachen liegen. Aber auch solche Stücke werden zu hören sein, die am Puls der Zeit liegen, die sich kritisch mit unserer Wirklichkeit auseinandersetzen.
Wenn sich ein zeitgenössischer Komponist mit der Bibel und dem Glauben auseinandersetzt, unterscheidet er sich dann eher stark von früheren Komponisten, wie beispielsweise Johann Sebastian Bach, oder überwiegen stärker die Gemeinsamkeiten?
Sowohl als auch. Und es ist immer wieder ganz erstaunlich, wie sich eine solche Tradition fortsetzt, auch wenn dies beim ersten Hören oft gar nicht so erscheint. Aber je intensiver man sich mit diesen Stücken beschäftigt, umso deutlicher wird, dass dieser vermeintliche Bruch mit der Tradition im Grunde doch eine Fortführung nur mit anderen Mitteln ist.
In dem Konzert sind mit Toshio Hosokawa und Sundeep Bhagwati zwei Komponisten zu hören, die einen buddhistischen und einen hinduistischen Hintergrund haben. Wie haben diese ihren religiösen Hintergrund in ihren Werken verarbeitet?
Da ist ein viel direkterer Zugang zu ihrer Kultur und auch zu ihrer Vergangenheit zu spüren. Bei den Europäern erscheint mir das manchmal oft viel gehemmter, so als ob sie da etwas verstecken möchten. Bei diesen Komponisten ist das alles viel freier und auch ein klares Bekenntnis. Und weil sie ganz geschickt den Klang der Instrumente ihrer Regionen auf unsere europäischen Instrumente übertragen haben, ist der buddhistische und hinduistische Hintergrund in diesen Kompositionen deutlich zu hören.
Das Gespräch führte Dirk Becker
„KAP modern“ unter dem Motto „Zwischen Glauben und Erkenntnis. Andere Wirklichkeiten“ am morgigen Mittwoch, 20.15 Uhr, im Foyer des Nikolaisaals in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Der Eintritt kostet 15 Euro
Die Musiker Bettina Lange, Tobias Lampelzammer und Friedemann Werzlau der Kammerakademie Potsdam haben im Jahr 2007 die Reihe „KAPmodern“ ins Leben gerufen, um in den Foyerkonzerten im Nikolaisaal vor allem Werke zeitgenössischer Komponisten vorzustellen. In der vergangenen Spielzeit erforschten die Musiker in insgesamt drei „KAPmodern“-Konzerten die Schnittmengen aus Moderner Musik und Moderner Physik. (PNN)
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