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Praktischer wohnen. So zumindest sieht das Leben aus, wenn man es denn beispielsweise auf dem Mars leben will. Christine Niehoff zeigt diesen speziellen Wohnungskomfort in ihren Installationen.

©  Manfred Thomas

Kultur: Raumschiff ahoi!

Christine Niehoff lädt in den Kunstraum in ihre „Kosmosgesellschaft“

Stand:

Kultur ist eigentlich alles, was die Denk- und Handlungsweise eines Volkes ausmacht. Folglich gehören das tägliche Essen ebenso dazu wie die Kultur eines Fußballplatzes, die Art des Brotbackens nebenan, die Kunst und alle Überlieferung, dazu die Wissenschaft, so man sie versteht. Genau hier knüpft Christine Niehoff in der Galerie Kunstraum mit den Bemühungen ihrer „Kosmosgesellschaft“ an. Als bildend-angewandte Science-Fiction-Expertin stellt sie auf ihre Art genau jene Fragen, die sonst im Kunstbetrieb kaum noch eine Rolle spielen. Fragen nach einer fiktionalen Zukunft der Erdgattung Mensch jenseits einer noch oder nicht mehr bewohnbaren Erde. Die von ihr begründete Kosmos-Gesellschaft ist zwar selbst ein Fiktivum, setzt sich aber trotzdem die Eroberung und Besiedlung des roten Planten Mars via Erdmond in gut zehn Jahren zum Ziel. Wie sie sich das alles vorstellt, zeigt die sehenswerte Ausstellung in allen verfügbaren Bereichen der Galerie als, wenn man so will, Mega-Gesamt-Installation.

Nun soll es, trotz der nicht so ganz geglückten Mission „Rosetta“ zum Kometen Tschuri, für die echte Mars-Mission der Nasa bereits jetzt genügend Bewerber mit einem One-Way-Ticket geben. Das macht Niehoffs Ideenraum im menschlichen Sinn sogar noch spannender. Wer da hinauf will, kehrt nie zurück, höchstens als vereiste Mumie oder in Gestalt der eigenen Asche, mit ein paar Gramm Marsstaub vermischt. Und schon ist man – Raumschiff ahoi! – mittendrin in dieser mal kunstnahen, dann eher kunstfernen Herausforderung. Schulklassen sollten sie besuchen, um dann einen hübschen Aufsatz zu schreiben, Kunstinteressierte, weil ihnen Kunst mal von einer ganz anderen Seite nahegebracht wird, auch echte Wissenschaftler.

Sich einlassen worauf? Im Eingangsbereich geht es vorwiegend um die Zwischenstation Mond, das Sprungbrett zum Mars. Hier gibt es an die Wand projizierte Zeichnungen, wie man sich eine lunare Lebensstation vorzustellen hat. Man erfährt per Kurztext auch, dass Missbrauch durch finanzstarke Konzerne bereits in Arbeit sei, so jedenfalls wird der Angriff auf den Outer-Space-Treaty-Vertrag, welcher private Besitzansprüche im Weltraum ausschließt, jedenfalls verstanden. Vis-à-vis des Eingangs und vorbei an der Wendeltreppe ist eine Wohn- und Arbeitsstation aus Presspappe für vier Personen modelliert. Alles eng und total funktional. Gut vorstellbar, dass die Eingeschlossenen in dieser Buchte spätestens nach einer Woche aufeinander losgehen – falls man ihnen nicht Sedativa ins Essen mischt. Hübsche Extras: ein Mikroskop und der Spirituskocher aus der Campingzeit von Uropa. Zwei Monitore spielen nach Art einer Möbiusschleife die Statements zweier Marsonauten in spe ab. Dahinter, ganz rührend, Kinderzeichnungen zur Frage, was man den One-Way-Siedlern denn nun mitgeben oder nachschicken soll: Von Schnuller und Sonnenbrille bis zum alten Fahrradsattel ist da alles dabei. Die Zutaten machen es eben.

Linkerhand der Treppe geht es zur „Sektion Helden“, einer Text-Bild-Galerie mit den Köpfen der ersten und der jetzigen Raumfahrt-Generation. Christine Niehoff hat sie mit Ölfarbe etwas verfremdet, dennoch scheinen sie allesamt dem Charme der 60er-Jahre bewahren zu wollen. Den Weg zum „Café Laika“, ein vernunftgekühlter Ort mit Rundtischen aus Stahl und einem Alufolien-Tonnendach. Hier wird natürlich Weltraum-Esperanto parliert. Eine weitere Installation sperrt den Zugang dorthin, karg in der Ausstattung, traurig im Geiste. Die Künstlerin traute nämlich den offiziellen Berichten der Russen nicht, wonach Juri Gagarin die letzte Nacht vor der ersten Erdumrundung ruhig und sicher geruht habe. Deshalb hat sie sein Minizimmer, schöne Idee, einfach mal nachgebaut.

So geht man von Ort zu Ort, und ist doch – Raumschiff ahoi! – längst in diesem Niehoffschen Denkgebäude aus Farbe, Fantasie und Presspappe gefangen. Man denkt nach, man denkt mit, man denkt anders. Treppauf dann findet man drei witzige Schaukästen für die brave Kleinbürgerseele: Wenn schon Besiedlung des Mars, dann bitte mit dem Eigenheim unter der Plexiglashülle. Die Häuschen stammen aus dem Modelleisenbahngeschäft. Lebensgroß projiziert dann als Videoschleife die Künstlerin im Raumanzug vor selbst gemalter Mondkulisse. Weil die Fantasie aber keine Grenzen kennt, wird hier gleich noch die Besiedlung des Jupiter-Mondes namens Europa keck mitgedacht, bei 160 Grad Tagestemperatur. Diesen Part dann auch noch „Traum von Europa“ zu nennen, ist irgendwie genial. Spätestens jetzt müsste auch der Letzte merken, mit welcher Art Kunst man es hier zu tun hat.

Die Ausstellung „Kosmosgesellschaft“ ist noch bis zum 14. Dezember, mittwochs bis sonntags, 13-18 Uhr, im Kunstraum in der Schiffbauergasse zu sehen.

Gerold Paul

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