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So entstehen Wälder. Assemblage von Menno Veldhuis.

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Kultur: Rausch und Wald

Menno Veldhuis’ neue Arbeiten unter dem Titel „Wälder“ in der Sellostraße 28

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Es mutet ein wenig paradox an, doch auf die Frage, ob er in den Park geht, antwortet Menno Veldhuis kurz und bündig mit „Nein“. Dass der Protagonist einer Ausstellung, die den Titel „Wälder“ trägt, keinen Fuß nach Sanssouci setzt, verwundert umso mehr, als dass die einst königliche grüne Oase unmittelbar vor der Tür liegt. Zumal wenn man wie er seine Zelte unweit im Atelierhaus „Scholle 51“ aufgeschlagen hat und weder Langeweile noch Ignoranz daran hindern, dem geordneten Gehege von Blumen und Bäumen hin und wieder einen Besuch abzustatten.

Aus deutscher Sicht ist der Wald ein arg belastetes Revier. Mystisch-mythischer Raum, Wirtschaftsgebiet, Areal zur Anzeige von Umweltzerstörung respektive deren Erholung, Therapiezone für psychisch Lädierte der Spätmoderne – es gibt eine Menge symbolischer oder realer Zugriffsmöglichkeiten. Auch aus Sicht der Kunst, zuvörderst der Malerei, erschließt sich ein Materialreichtum, der niemandem gestattet, unbedarft ins Rennen zu gehen. Erstaunlich dabei ist, dass der Wald, um ihn ins Bild zu setzen, in einem verhältnismäßig nur kurzen Zeitraum tatsächlich auch per pedes erreicht wurde, und zwar hauptsächlich durch die französischen Landschaftsmaler im 19. Jahrhundert. Historisch davor und danach war und ist er meistenteils Produkt einer Konstruktion im Kopf. Ob im religiös inspirierten Denken der Nazarener, auf den die deutsche Mystik sezierenden Großleinwänden von Anselm Kiefer oder in den heiter-mythologisierenden Spielarten eines Neo Rauch. Die Fotografie ihrerseits gibt andere Beispiele, wie aktuell die Serie „Escape“ des Russen Danila Tkachenko zeigt, der in bewundernswerter Art Einsiedler in Sibirien porträtiert. In der Malerei indes gilt nach wie vor: Vielleicht geht man mal vor die Tür, aber gearbeitet wird drinnen.

Menno Veldhuis ist Holländer. Der bald 40-Jährige stammt aus Enschede und lebt seit zehn Jahren in Potsdam. Er hat an der Kunstakademie in Kampen studiert, später in Utrecht noch zwei Jahre Kunstgeschichte und versteht sich als figürlicher Maler. Die figürliche Malerei erlebt immer mal wieder Phasen der Revitalisierung, ein schwieriges Metier bleibt sie trotzdem. Wo will man mit der handgemachten Malerei hin? Welches historische Recht hat sie im Zeitalter von Apple und Google, dass sie noch existiert? In der Serie „Back to Nature“ wagt Veldhuis 2013 einen fotografischen Ausflug, unter Umständen eine Art Training im Freien mit Slapstickeinlagen – auf Selfies erscheint er zumeist auf dem Bauch liegend, den Kopf hinter oder unter einem vorgefundenen Gegenstand versteckt. Kurz darauf entstehen Gemälde mit den Titeln „Rubljov“ und „Landschaft“ – eine Reminiszenz und Wiederbearbeitung der Themen Ikonen- und Landschaftsmalerei. Dennoch, in ihm türmt sich die schöpferische Krise auf. Es droht das Scheitern – der normale Prozess. Doch die Krise muss raus. Aber wie?

Irgendwann kam der Zeitpunkt und Menno Veldhuis rannte ins Atelier und legte los mit dem, was er hatte. All die Reste, Holz, Pappe, vollgekleckstes Papier, Filz, Stoff, eigentlich Abfall, Müll. Und genau den nahm er und bearbeitete ihn, zerstückelte, schnitt, klebte zusammen, arrangierte, rieb sich die Knie auf, schürfte sich die Finger wund, vergaß die Zeit, vergaß die Musik, die er dabei hörte – und befindet sich im Rausch. Dann, nach einem kurzen Moment des Innehaltens, wurde ihm bewusst, was er tat: Er erzeugte Assemblagen, die ihn an Wälder erinnern. Aus der Distanz wirken sie fast wie Aquarelle. Komplementärfarben, die sich gegenseitig ins Dunkle, oft aber ins Helle, Frühlingshafte aufwiegen. Aus der Nähe eröffnet sich ein Tauchgang in die verwendeten Materialien. Er hat keine Antworten. Auf nichts. Spätestens seit Jackson Pollock ist der Rausch Ohnmacht und Glück des bildherstellenden Artisten. Kein Rausch hält ewig. Kunst, so formulierte es einmal Bruce Nauman, befreit uns von nichts. Menno Veldhuis wird also weitermachen müssen.

Die Ergebnisse zumindest dieses Schaffens sind in exakt 28 kleinformatigen Bildern in der Sellostraße 28 zu sehen. Letzteres ist wichtig hervorzuheben. Über dem Café Rückholz hat der Architekt und neue Betreiber Alexander Michel erstmals ein minimalistisch eingerichtetes Ferienappartement bereitgestellt, um in Zukunft alle zwei Monate neue Ausstellungen zu zeigen als auch Musikveranstaltungen und Lesungen durchzuführen. Tantiemen verlangt er nicht. Er wünscht sich einen Hotspot, Kunst im Kiez, mehr als nur eine Bar. Die Bewohner des Appartements dürfen mit der Kunst leben. Das ist der Idealismus, den Potsdam braucht, um ein paar Löcher ins ordnungspolitische Terrarium zu stampfen, damit nicht nur der Park winkt.

Die Ausstellung „Wälder“ ist noch bis zum 16. Januar in der Sellostraße 28, dienstags und donnerstags, 17-19 Uhr, zu sehen.

Ralph Findeisen

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