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Kultur: Rauschen des Subtons

„intersonanzen“-Nachspiel: Das Berliner „soniq.art Saxophonquartett“ musizierte im Friedenssaal

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Dank eines spanischen Fluglotsenstreiks wurden die „intersonanzen“, das Brandenburgische Fest der Neuen Musik, vom Mai so in die Länge gezogen, dass man sich ihrer jetzt noch im September erinnern kann. Das Berliner „soniq.art Saxophonquartett“ verpasste damals mit „Iberia“ sein Konzert in Potsdam. Am Freitag war es nun da, im neu erschaffenen Friedenssaal, in dem diese sechs hässlichen Deckenleuchten hängen, in denen man glatt Kahn fahren könnte.

Das neunzigminütige Programm wartete mit sechs Kompositionen auf, darunter vier Uraufführungen. Man glaubt ja gar nicht, wie fleißig die Kompositeure von heute sind! Ihr Mut, sich mit der Gegenwart herumzuschlagen samt ihrer kunstvollen Art, dies auch in Noten zu setzen, hätte weiß Gott mehr Öffentlichkeit verdient, gerade in Potsdam, wo man über den Geistzustand der Klassik einfach nicht hinaus will und Musik lieber nach Art der Phäaken behandelt. Eine lockere, angenehme Atmosphäre versteht sich bei den Avantgardisten um Michael Schenk, Susanne Stelzenbach und Bringfried Löffler genauso, wie höchster Anspruch bei der Auswahl neuer Werke. Und die ihrer Interpreten: Ruth Velten, Annegret Schmiedl, Martin Posegga und Alexander Doroshkevich von „soniq.art“, deren Instrumente die vier Grundstimmen abdecken, gehören bekanntlich zu den Spitzenkräften ihrer Zunft.

Mit einer „Spezialfassung“ des 2. Satzes „con spirito“ aus einem größeren Werk von Volker Freidel versuchte das Quartett den humorigen Einstieg in das Abendprogramm. Kontrapunktischer Introitus, flotte, jazzige Sequenzen, eine piekvornehme Generalpause, die wahrlich „höchsten Töne“ zum Beschluss – eine sehr interessante Arbeit. Man hätte vielleicht noch mehr des Humors kultivieren können, meist hält man ja die Neue Musik nur für eine Art „Geistverknüllung“. Nicht immer ganz zu Unrecht, denn Fabien Levys „Durch“ könnte ein ungeübtes Ohr schon sukzessive dafür halten. In Wahrheit handelt es sich um ein Stück, dessen Struktur ungefähr dem „Scharfstellen“ eines Senders im Radio, Abteilung Kurzwelle, gleicht: Je genauer, um so schöner das eingestellte Klangbild. Das Finale ist interrupt. Um mikrotonale Veränderungen geht es auch in Andreas Staffels „Fourtune für Saxophonquartett“ von 2011, das auf einer chromatischen Vierton-Reihe aufgebaut ist. Das wunderbare Stück ist dem sonic.art-Quartett gewidmet.

Noch schöner war freilich die „in Quadrophonie“ gespielte „Atempause“ der Berlinerin Susanne Stelzenbach: gemeinsamer Anfang, größtmögliche Entfernung der vier Stimmen im Raum, ein finales Zusammenkommen, dazwischen etwas, was weniger mit „Melancholien“ als mit Poesie zu tun hat. Manche Sequenzen sind bis an die Schmerzgrenze der Ohren geführt. Wenn schon „weiblich“, dann hier. Friedrich Schenker nun hat aus seinem „Les clarinettes de Vosges“ von 2005 ein „Quartour pour Saxophonist“ (2007) gemacht, dessen Uraufführung jetzt in Potsdam geschah. Nach einem virtuellen Auftakt wird man in die musikalischen „Gärten des Zufalls“ geführt, dann mit den Urschreien der besonders wilden Fauna dort konfrontiert, um letztlich, welch Wunder, mit herrlichem Walzer und Ragtimes ganz tänzerisch entlassen zu werden. Wenn die Vogesen tatsächlich so sind, wie Schenkers Musik, dann nichts wie hin!

Georg Katzers führt sein Opus „Wie ein Hauch..., doch manchmal“ (1993) von einer fast nur hingeatmeten Tonfolge über höchst gratiges Terrain voller Slaps bis in die nicht mehr hörbare Welt von Klangschatten und Subtönen. Manchmal sehr lyrisch, manchmal knapp am Chaos vorbei. Eine große Komposition – einfühlsam, elegant und wirklich kongenial gespielt von einem Quartett der absoluten Spitzenklasse. Da kann man sich auf die „intersonanzen“ 2012 schon richtig freuen.

Gerold Paul

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