
© HL Böhme
Premiere am Hans Otto Theater: Reden als Revolution
Tobias Wellemeyer inszeniert Yasmina Rezas Erfolgs-Stück von 1994 - „Kunst“ - am HOT. Trotz allem vordergründigen und hochkomischem Lamentieren über ein Bild gelingt ihm das aktuell und hintersinnig.
Stand:
Die einzig revolutionäre Kraft, hat Beuys mal gesagt, ist die Kunst. Und als klitzekleine Revolution kann man das, was da auf der fast weißen Bühne passiert, schon deuten – zumindest brechen ein paar Krusten von Lügen und Höflichkeit auf. Dabei geht es in „Kunst“, dem Stück von Yasmina Reza, das am Samstagabend im Hans Otto Theater Premiere hatte, um Kunst eher nicht. Sondern ums Miteinanderlachenkönnen oder besser: um die Unmöglichkeit, überhaupt noch zu kommunizieren, wenn der Humor fehlt. Humor nicht als Fähigkeit, einen Witz zu erkennen, sondern als die Grundkondition, von sich selbst, den eigenen Überzeugungen, auch mal absehen zu können. Ohne die alles Reden nur noch bedeutet, den anderen auf seine Seite ziehen zu wollen.
Kunst also ist in „Kunst“ – schön symbolisch überspitzt repräsentiert durch ein komplett weißes Bild – Projektionsfläche. Das, in dem jeder etwas anderes erkennt – nämlich am Ende nur sich selbst. So geht es auch den Freunden Serge, Marc und Yvan. Die eigentlich zu Beginn längst keine Freunde mehr sind. Unter der weißen Oberfläche – sie treffen sich regelmäßig, umarmen sich, heucheln noch Interesse – lauert etwas arg Hässliches. Das sickert heraus, als Serge, gespielt von Bernd Geiling, sich ein Kunstwerk kauft. Knapp zwei mal zwei Meter weißes Öl auf weißer Leinwand. Preis: 200 000 Franc. Marc lacht laut auf, als er das hört – aber es ist ein Lachen, das trennt. Weil Marc damit natürlich urteilt: So eine Verarsche. So viel Geld für so „eine Scheiße“. Die Moderne, sie sagt ihm einfach nichts.
Die ganze Bühne – entworfen von Alexander Wolf – schreit allerdings Moderne: weißes Billy-Regal voll edler Bücher, weißer Barcelona-Chair von Mies van der Rohe und vor dem breiten Fenster am hinteren Bühnenrand wechselnde Ansichten von Paris – so verwischt, als wären sie von Gerhard Richter gemalt. Und das natürlich noch ein anderes, ein heileres Paris ist als das nach den Terroranschlägen der vergangenen Woche. Deshalb wurde ja an dieser Stelle vorher gefragt – kann man das jetzt machen, als Theater, eine französische Komödie? Aber im Grunde piekst diese so leichte wie böse Abhandlung über etwas so Nichtiges wie ein Kunstwerk eben doch in ein aktuelles Grundproblem: die mangelnde Fähigkeit, sich konstruktiv streiten zu können.
Deshalb lutscht der von Jon-Kaare Koppe gespielte Marc unentwegt homöopathische Pillen, um seine unbändige Wut zu zügeln. Vergeblich. Für diese hilflose Wut, mit der Marc gegen die weiße Windmühle seines Freundes anrennt, liebt man Koppe. Genauso wie man Geiling und Philipp Mauritz liebt – weil sie alle drei die Schwächen und Scheußlichkeiten, die Humorlosigkeit ihrer Figuren so nachfühlbar machen.
„Ich hasse seine Art zu lachen“, steckt Serge dem Publikum, das, und das ist das Grandiose an dieser Inszenierung, über beide, Marc und Serge, lachen kann. Klar, Serge – übrigens von Geiling großartig balanciert zwischen feinfühligem Humanist und Snob – lässt seine Kultiviertheit, seinen distinguierten Geschmack, ziemlich raushängen. Und klar: Er will Marc und Yvan überzeugen, ja erziehen. Ja, er wirkt albern, wie er Marc mit vergeistigt hochgezogenen Augenbrauen und großer Geste vor „dem Antrios“ – so heißt der Künstler – platziert und fragt, ob der die „Vibrationen der Monochromie“ spüre. Aber: Er liebt dieses Bild wirklich.
Und Marc verabscheut es. Und ist in seiner fassungslosen Raserei keinen Deut besser als der süffisant-herablassende Serge. „Es schadet anderen – es stört mich in meiner Ruhe!“, brüllt er Yvan an, mit dem er eigentlich über Serges vermeintlichen Wahnsinn lästern wollte – der sich aber nicht so einfach vereinnahmen lässt. Denn zwischen den beiden Alpha-Tieren Serge und Marc ist Yvan ein Suchender, einer, der sich aber auch scheut, klar Stellung zu beziehen. Er kann mit Marc über „den Antrios“ lachen – und sich zwei Tage später von Marc das Werk erklären lassen. „Du bist ein hybrider, schlaffer Mensch“, wird ihm Marc irgendwann, als er erkennt, dass er Yvan nicht ganz auf seine Seite ziehen kann, vorwerfen.
Philipp Mauritz spielt diesen zarten, verunsicherten Menschen – mühsam gepanzert durch seine Lederjacke, die seine Figur genauso ausgezeichnet unterstreicht wie Geiling sein edler blauer Anzug (Kostüme: Ines Burisch), so durchlässig, so präzise, dass all sein Schmerz über seine zerbrechenden Freundschaften direkt ins Publikum strömt. Ein Schmerz übrigens, den er vor allem mit Marc teilt. Der ihn halt nur ganz anders, nämlich mit ätzender Wut an jeder Stelle, kanalisiert. Im Grunde, sagt Intendant Tobias Wellemeyer, der das Stück inszeniert hat, geht es in „Kunst“ ja um Eifersucht, um diese verletzte, platonische Liebe zwischen drei Männern, in der das weiße Bild zum Platzhalter wird für all die unausgesprochene Furcht, verlassen zu werden.
Denn im Grunde sind die drei, obwohl verheiratet oder geschieden, auch in einer Beziehung miteinander. Und wie in intimen Beziehungen so oft, können sie es nicht ertragen, dass der Andere anders ist, nicht wie sie. Und genau deshalb ist „Kunst“ bei Wellemeyer noch mehr als ein Beziehungsdrama mit jeder Menge hochkomischen Dialogen. Er hat aus Rezas Stück von 1994 ein hochaktuelles und politisches Stück gemacht. Die Art, wie die drei sich streiten, erinnert an Debatten auf Twitter: Es gibt nur richtig oder falsch und richtig ist, wie ich die Welt sehe. Was quasi das Ende jeder Kommunikation ist. Weil man so nie zu irgendeiner neuen Erkenntnis kommt. Es zu machen wie Yvan – immer auf Versöhnung aus – ist genauso fatal: sich nicht die Wahrheit zu sagen um des Friedens willen, das eben hat die drei ja erst in diesen Wahnsinn geritten.
Dass sie jetzt, wegen einer weißen Leinwand, damit anfangen, ihr Anderssein zu erkennen – und sich darüber anschreien –, das ist eben schon eine kleine Revolution. Streit, stellt sich heraus, ist der einzige Weg zum Fortschritt. Ihre jahrelange freundschaftliche Freundlichkeit hat sie in den Krieg geführt. Damit stehen Rezas Figuren – die Wellemeyer hier zusammen mit Geiling, Koppe und Mauritz zur Brillanz poliert hat, für die gesamtgesellschaftliche Möglichkeit, anders miteinander zu sprechen. Dass ein weißes Bild kein Pflaster sein muss, sondern den Finger auf die Wunden legen kann, gibt Paul Klee recht. „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“, hat der nämlich gesagt.
Wieder am 28./29. November sowie am 18., 23. und 25. Dezember.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: