Kultur: Redender Tonfall
Musica Antiqua Köln bei Musikfestspielen
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„Freye Ausbrüche der musikalischen Dichterwut“ überschrieb das Ensemble Musica Antiqua Köln seinen Musikfestspielebeitrag im Nikolaisaal, in dem gar feinfühlend und leidenschaftlich von Abschied geklagt und vor Wehmut geweint wurde. Getreu des Mottos von Ensemblegründer und Violinist Reinhard Goebel (eine Fehlinformation des Managements macht aus ihm im Programmheft einen Bratschisten), Musik bestehe nicht nur aus Formen und Akkorden, sondern sei ein „Bedeutungsträger eines realistischen Sachverhalts“, spielte man hinreißend plastisch und herrlich unforciert. Er sehe seine Aufgabe darin, so Goebels Credo, ein Bild zu vermitteln, „so deutlich und sinnlich fassbar, dass die Leute sagen: Ja, so könnte das damals geklungen haben“.
Wie beispielsweise das G-Dur-Sextett für obligates Cembalo, Traversflöte und Streichquartett von Stephen Storace (1762-1796), dessen Schwester Nancy die erste Susanna in Mozarts „Figaros Hochzeit“ war. Auch dies also einer der hintergründigen und vielbeschworenen „Wege zu Mozart“. In Storaces gefälligem Stück fällt auf, wie gleichberechtigt die einzelnen Stimmen nebeneinander stehen. Um diese Neuerung des sich damals wandelnden Klangideals wissend, sucht keiner der Musiker den anderen zu übertrumpfen, zieht keiner die Sprinterstiefel an. Federnden, leichtbeschwingten Ganges geht es durch die vier Sätze. Die Traversflöte (Verena Fischer) ist eingebettet in einen Ensembleklang der vorzüglichsten Art. Das Cembalo (Léon Berben) parliert in brillantesten Läufen.
Die Freude an der Musik ist nicht nur zu hören, sondern steht allen Instrumentalisten im Gesicht geschrieben. In dem nicht minder geschmackvoll gesetzten Sextett C-Dur für zwei Traversen, Streicher und Basso continuo von Wilhelm Friedrich Ernst Bach (1759-1845), Sohn des „Bückeburger“ Bachs und Enkel von Johann Sebastian, tiefenforscht Musica Antiqua ebenfalls intensiv, setzt man auf die wie selbstverständlich wirkende Phrasierung der musikalischen Gedanken. Getragene Stimmungen machen sich in Haydns Solokantate „Arianna a Naxos“ breit. Die sie erzeugenden Stimmenverflechtungen legt Musica Antiqua mit eindrucksvoll redendem Tonfall bloß. Mit leidenschaftsgeprägtem Wohllaut versenkt sich Mezzosopranistin Stella Doufexis in die Seelennöte Ariadnes. Ihre glanzvolle und geschmeidige Stimme verhilft auch „Bendas Klagen“, letzter Notenarbeit von Georg Benda (1722-1795), zu tief empfundener Wirkung. Assistiert von zwei Flöten, Streichquartett und Cembalo sinnt der Komponist zwischen Wehmut und freudigen Erinnerungen über den „Verlust des Frühlings meiner Blüte“ nach. Die Sängerin und Musica Antiqua Köln (das sich Ende des Jahres auflösen wird) werden ausgiebig gefeiert. Peter Buske
Peter Buske
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