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Kultur: Reise in kleinen Formaten

Die Galerie Sperl zeigt in ihrer Jubiläumsausstellung Werke von 40 Künstlern

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Gerne würde der kleine Mann weiter rudern, aber er kann nicht. Im Heck des kleinen Ruderbootes sitzt eine dicke Frau und drückt das Boot tief ins Wasser. Die Ruderblätter hängen in der Luft. Gleich wird das Boot voll Wasser laufen und beide werden in der unendlichen See versinken. Kleinformatig ist das Bild von Alexander Gutsche, und „Kleine Formate“ zeigt nun in einer Jubiläumsausstellung zum 20. Mal die Galerie von Ursula und Rainer Sperl.

In den vergangenen 23 Jahren hat sich die Galerie als fester Bestandteil der Potsdamer Kunstszene etabliert. Quer durch die Innenstadt ist sie in ihrer Geschichte gereist, ihr derzeitige Domizil findet sie im Erdgeschoss der Fachhochschule am Alten Markt. Dort zeigt Sperl nun zum 20. Mal „Kleine Formate“. Reisen und stete Ortswechsel finden sich in vielen der ausgestellten Werke. Skulpturen, Fotografien und Malerei von 40 Künstlern belegen, dass die Kunst und das Leben nie stetig sind, sondern immer in Bewegung, im Verschwinden und im neuen Werden begriffen.

„Die Fotos zeigen einen kleinen Glanz vom Paradies, aber der wird sofort wieder gebrochen“, beschreibt Frank Gaudlitz seine drei fotografischen Stillleben. Pralle rote Tomaten liegen auf dem Tisch, dahinter scheint sich fächerförmig eine schwarze Frucht zu entfalten. „Das sind Krallen von einem Alligator“, so Gaudlitz. Unmittelbar erkennbar sind die bedrohlichen Krallen nicht, aber sie fallen dem Betrachter als irritierendes Element sofort ins Auge. Die vermeintliche Harmonie ist auch in den anderen beiden Stillleben gestört. Weiße Blüten stecken nicht in einer Vase, sondern in dem abgeschlagenen, eher hässlichen, Kopf eines Fisches, des Doncella. Die Schwanzspitze eines Kaimans ziert als zackiges Gebirge die dritte Fotografie. Aufgenommen hat Gaudlitz die Fotos am Amazonas: „Aber dort, wo keine Touristen hinkommen.“ Der 56-jährige Fotograf aus Vetschau ist praktisch seit dem Abschluss seines Studiums ständig unterwegs: erst in Brandenburg, dann in Russland, Kolumbien, Ecuador und Peru, im vergangenen Jahr am Amazonas. Meist mit Unterstützung von Stiftungen oder Kulturinstituten, denn allein über den Verkauf in Galerien und Ausstellungen ließen sich die oft jahrelangen Reisen nicht finanzieren. „A Mazo“ – ohne Brust – ist der Titel des Projektes am Amazonas, von dem auch die Stillleben stammen. Frauen ohne Brust, Transvestiten, hat Gaudlitz am Flusslauf fotografiert. Wie die Amazonen sich entsprechend dem griechischen Mythos die Brust ausbrannten und so eine andere Geschlechterrolle annahmen, wechseln auch die Transvestiten heute in Amazonien ihre Rolle. Allerdings werde ihr Anderssein nicht akzeptiert, sagt Gautlitz.

Der Bruch in der Struktur, der Riss im Leben, die Veränderung zieht sich auch durch die schönen Collagen von Elke Pollack. Oft zeigt sie Fahrradfahrer, die aneinander vorbeiradeln, gelegentlich Schiffe, die in eine unbestimmte Ferne reisen. Das seien Metaphern für die Reise, auf der wir uns befinden, sagt die Künstlerin. „Man kann nicht ankommen. Aber mit der Freiheit im Blick hat man die Chance zu einem immer neuen Aufbruch“, so Pollack. Dass sich bei allen Brüchen und Verwerfungen dennoch eine harmonische Struktur ergeben kann, zeigen ihre Bilder. Das Gelingen der vielgestaltigen Collagen ist vielleicht auch eine späte Frucht ihrer Karriere als Geigerin, die Pollack vor ihrem Kunststudium beendet hat. Auch in der Musik finden ja gelegentlich Dissonanzen zu einem austarierten Gesamtklang.

Eine Reise durch die Zeit hat Ulf Schüler mit seinen Backsteinköpfen unternommen. Die Steine stammen aus einem Potsdamer Haus aus dem Jahr 1883. Bei Bauarbeiten wurden die Fundamente freigelegt. Die offen herumliegenden Steine regten Schülers Fantasie an. „Aber Backstein ist schwer zu bearbeiten, der Stein splittert“, sagt der Künstler. So wirken die drei Köpfe in ihrer bröckeligen Struktur zwar ein wenig verletzt von der Reise durch die Jahrhunderte, die sie zurückgelegt haben, blicken aber letztlich frohgemut in die Zukunft. Ebenso wie der blaue Vogel von Lezzueck A. Coosemans, der in einem Boot aus Blättern zur „Insel des Paradiesvogels“ unterwegs ist.

„Das Paar“ hat Mona Höcke ihre beiden Köpfe genannt. Collagiert aus verschiedenen, beschriebenen Papierfetzen, dann übermalt, stehen die beiden Formen vor einer grauen Fläche. Gesichtszüge sind nicht erkennbar. Aber gekritzelte Schriftzeichen bedecken die Formen. Offenkundig hat sich das Leben, die Erinnerung an Vergangenes und die Hoffnung auf Werdendes in die Köpfe eingeschrieben.

Die Ausstellung ist noch bis zum 31. Januar, mittwochs bis sonntags 12-18 Uhr, in der Friedrich-Ebert-Straße 4 zu sehen.

Richard Rabensaat

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