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Kultur: Reisenotizen Buchvorstellung im Waschhaus Klub

Die Heiterkeit geht in spontanen Applaus über, als der Gründer der Potsdamer Bergsteigersektion Ulrich Henrici vergnügt aus dem Nähkästchen eines Dokumentenfälschers plaudert. Um im Jahr 1982 Europas höchsten Berg, den Elbrus im Kaukasus, sogar mit bürokratischem Segen erklimmen zu können, hatte er sich zuvor einfach farbige Stempelkissen besorgt und bei Stempel-Gottschalk in Potsdam gleich zehn verschiedene phantasievolle Stempel anfertigen lassen, die er alle auf einen Briefbogen von „Turbine Potsdam“ drückte und wahllos mit Allerweltsnamen unterschrieb.

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Die Heiterkeit geht in spontanen Applaus über, als der Gründer der Potsdamer Bergsteigersektion Ulrich Henrici vergnügt aus dem Nähkästchen eines Dokumentenfälschers plaudert. Um im Jahr 1982 Europas höchsten Berg, den Elbrus im Kaukasus, sogar mit bürokratischem Segen erklimmen zu können, hatte er sich zuvor einfach farbige Stempelkissen besorgt und bei Stempel-Gottschalk in Potsdam gleich zehn verschiedene phantasievolle Stempel anfertigen lassen, die er alle auf einen Briefbogen von „Turbine Potsdam“ drückte und wahllos mit Allerweltsnamen unterschrieb. Fertig war das Legitimationsschreiben, das ihn zum Mitglied einer offiziellen Wanderexkursion machte und zugleich enorm großen Eindruck bei den russischen Beamten hinterließ.

Es sind Anekdoten wie diese, die am Mittwochabend im Waschhaus Klub aus der einfachen Lesung ein lebhaftes Event machen, zu dem mehr als 150 Gäste strömen, sodass allen, die schlichtweg nicht mehr in den Raum passen, kurzerhand eine zeitnahe Wiederholung der Veranstaltung in Aussicht gestellt wird.

Henrici, der bis zur Wende, dank seiner gewieften Tricks, insgesamt 19 Mal illegal in die Hochgebirge der Sowjetunion reiste und so auch den 7000 Meter hohen Pik Lenin im Pamir-Gebirge bestieg, ist zweifellos einer der prominentesten Autoren des kürzlich erschienenen Sammelbands „Unerkannt durch Freundesland – Illegale Reisen durch das Sowjetreich“ (Lukas Verlag). Die beiden an diesem Abend ebenfalls anwesenden Herausgeber, die Dokumentarfilmerin Cornelia Klauß und der Verleger Frank Böttcher lassen in ihrem Buch ganz unterschiedliche Zeitgenossen von ihren Reisen berichten, die sie als DDR-Bürger in den 70er und 80er Jahren auf eigenes Risiko durch das weite Land des „großen Bruders“ unternommen hatten.

Erlaubt war dies nicht und nur mit Hilfe eines zwei Tage gültigen Transitvisums möglich, das die Reise von Polen bis nach Rumänien gestattete und das man einfach ablaufen ließ, sobald man sich auf sowjetischem Boden befand. Nunmehr fern der vorgeschriebenen „Marschroute“ erkundeten die Abenteurer individuell und oft wochenlang das riesige Land mit seinen Farben und fremden Kulturen, seiner Pracht, aber mitunter auch seiner erschreckenden Armut. Und während immer wieder ergriffen von den Menschen dort und ihrer geradezu überwältigenden Gastfreundschaft geschwärmt wird, laufen im Hintergrund die vielen Farbaufnahmen, mit denen das Buch reich bebildert ist, als Diashow an der Wand: schroffe, karge und malerisch satte Landschaften, mal Ruinen, dann klotzige Prunkbauten, allerhand Accessoires und bannende Nahporträts.

War man als Rucksackreisender auch vor der Miliz auf der Hut, so blieb man doch eine auffällige Erscheinung, die selbst vor einem Verhör beim KGB nicht sicher war, wie es dem Fotografen Robert Conrad geschehen ist. Nur sind seine Schilderungen überraschend trocken und witzig. Hielt man ihn aufgrund gelochter DDR-Bustickets, die sich noch in den Tiefen seiner Taschen fanden, anfangs für einen Spion, so fing man bald an, sich mit ihm über Mädchen und Autos zu unterhalten, bevor man ihn bewirtete und dann unbehelligt gehen ließ. Selbst die Stasi habe sich gegenüber so eigensinnigen „Transitreisenden“ verhältnismäßig tolerant verhalten, sagt Cornelia Klauß. Es habe eher eine gewisse Entnervtheit geherrscht, denn ein strenges Strafmaß gegolten.

Dann aber ist es wieder Ulrich Henrici, der alte Hase und Star des schier endlosen Abends. Hochstimmung und Freude allenthalben, als er von besoffenen Piloten berichtet oder von Leuten, die allen Ernstes seine Frau kaufen wollten. Auch das Essen in den kirgisischen Dörfern sei seltsam. Durchweg Delikatessen zwar, doch es sei überaus schwierig, stinkende grüne Leber zu essen, Fliegensuppe und Hammelfleisch mit Maden, die beim Kauen knacken. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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