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Kultur: Reisers Wiedergänger
Jan Plewka versuchte die Anarcho-Ikone Rio Reiser in der Waschhaus-Arena auferstehen zu lassen
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Es ist die Annäherung zweier Idole von unterschiedlichen Richtungen her: Ein Künstler, Rio Reiser – Hausbesetzer, Revoluzzer, Ikone der 70er –, ist tot und somit Legende, und der andere, Jan Plewka, lebt wieder, nachdem er nach den 90er-Jahre-Erfolgen seiner Band Selig lange in der Versenkung verschwunden war. Während Reiser für immer ruht, ist Plewka wieder da, zuletzt mit Selig auf der Bühne des Nikolaisaals, nun mit seinem Huldigungsprogramm „Jan Plewka singt Rio Reiser“. Nun ist es ziemlich offensichtlich, dass Plewka nicht ausgelastet ist – der leicht in die Jahre gekommene einstige Teenie-Schwarm kann offenbar nicht genug Bewunderung bekommen. Mit seinem Rio-Reiser-Programm öffnet er ein Grab und lässt Reiser als Wiedergänger auferstehen.
Die große Frage ist nun, ob ihm diese Annäherung gelingt. Nehmen wir es vorweg: Nein, das tut sie nicht. Dabei ist Plewka kein schlechter Interpret, und die Band ist gut. Aber der Rahmen stimmt einfach nicht – Hausbesetzer und Anarchist Reiser würde sich bei diesem Entertainment-Programm sicherlich im Grabe umdrehen. Da das Spektakel für Theatersäle konzipiert ist, wurden auch in der Waschhaus-Arena am Donnerstag Abend fleißig Stühle aufgestellt: im Prinzip derselbe brutale Stimmungskiller wie beim Selig-Konzert im Nikolaisaal. Man habe den Veranstalter davon abbringen wollen, ein Rockkonzert zu bestuhlen, resigniert man im Waschhaus, aber Vertrag sei Vertrag. Womöglich habe man Angst gehabt, dass die ruhigen Songs nicht rüberkommen – viel scheint man dem Zugpferd wohl nicht zuzutrauen. Die Stimmung war aber dahin, das steife Rumsitzen wurde nur noch durch das unvermeidbar deutsche rhythmische Mitklatschen konterkariert. Die letzte Stunde der gut dreistündigen Performance wurde dann doch ein Stehkonzert: Die Besucher standen auf den bemitleidenswerten Stühlen und machten eben das unschuldige Mobiliar des Waschhauses kaputt.
Im Programm hat Plewka, der sich einen geradezu sakralen Einstieg mit Stimme aus dem Off und Betreten durch die Seitentür erlaubt, einen Rundumschlag aus Reisers Oeuvre, auch wenn bereits die Eröffnung arg pastoral-pathetisch rüberkommt, was durch seinen langen Mantel und den pompösen weißen Seidenschal noch unterstrichen wird. „Halt dich an deiner Liebe fest“, singt Plewka, und sicherlich ist der späte, melancholische Reiser ihm noch am ähnlichsten. Mit den Hits von Reisers Anarcho-Band Ton, Steine, Scherben ist die Revolution jedoch im Establishment angekommen: Im Publikum grölten die, die an anderer Stelle im Rhythmus klatschen, ganz laut mit: „Das ist unser Haus!“ Reiser rotierte im Grab, und die Vibrationen waren unter den Fußsohlen zu spüren. Die restlichen Ideen sind nett, aber auch nicht mehr: die Band als Wandergruppe durch die Publikumsreihen, um Geld für Bier zu sammeln, ein lustiges Videoeinsprengsel, wie Plewka zum Song „Irrenanstalt“ durch ein Gebäude läuft und Leute erschreckt, noch ein nettes Solo mit dem Akkordeon auf der Couch, die auf der Bühne steht, das er als improvisiert verkauft. Als Plewka gegen Ende noch eine junge Frau auf die Bühne holt, um sie mit einem Solo anzuschmachten, ist er nur noch Plewka – das hätte der bekennende Schwule Rio Reiser niemals getan.
Sicherlich: Jan Plewka kann singen, und er muss dabei auch nicht nach Rio Reiser, sondern nach Selig klingen. Aber genau dieses melancholische Pathos passt nun mal nicht zum revolutionären Duktus der alten Scherben – da muss man konsequent unterscheiden zwischen ihnen und Rio Reisers zuckerigen Schnulzen seiner Solokarriere, die er viel später gemacht hat. Das scheint Plewka jedenfalls nicht begriffen zu haben, wenn er alles des Entertainments wegen in einen Topf haut.
Der nächste Jan-Plewka-Termin steht übrigens auch schon fest: Am 18. Dezember nächsten Jahres ist er wieder da – diesmal singt er Simon and Garfunkel. Wohl bekomm’s. Oliver Dietrich
Oliver Dietrich
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